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Der Atem des Jägers

Titel: Der Atem des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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warum sollte etwas
nicht
stimmen? Vielleicht
stimmt
ja auch etwas? Vielleicht denke ich einfach weiter als die meisten Leute? Was ist schon Sex? Ist der wirklich so schlimm?
     Was ist denn so schlimm daran?«
    Sie stand auf und entfernte sich von ihm, und er bedauerte, daß er sie gefragt hatte. Er hatte sie nicht ärgern wollen. Er
     hätte nachdenken sollen. Er wollte sagen, daß es ihm leid tue, aber sie verschwand im Flur. Er bemerkte, daß seine Hose noch
     offen stand, also schloß er den Reißverschluß.
    Sie kam zurück. Er sah zuerst ihren Schatten, da war sie, aber diesmal setzte sie sich zu seinen Füßen.
    »Wollen Sie eine Zigarette?«
    »Gern.«
    Sie steckte sich zwei Zigaretten in den Mund und betätigte das Feuerzeug. Im Licht der Flamme konnte er ihre Brüste, ihr Gesicht
     und die nackten Schultern sehen.
    Sie reichte ihm eine. Er nahm einen tiefen Zug.
    »Ich war immer anders«, sagte sie und stieß eine Rauchwolke aus, die einen geisterhaften Schatten auf die gegenüberliegende
     Wand warf. »Das ist schwer zu erklären. Wenn man klein ist, versteht man gar nichts. Man denkt, etwas stimmt mit einem nicht.
     Meine Mutter und so … Ich kam aus einem guten Haus. Mein Vater war bei der Armee, meine Mutter war meist zu Hause, und sie
     fand das in Ordnung. Ihre kleine Welt. So ein Leben war das. Je älter ich wurde, desto schwerer fiel es mir, das zu verstehen.
     Konnte das alles sein? Konnte das |334| reichen? Man geht zur Schule, man findet einen Mann oder eine Frau, man zieht die Kinder groß, man geht in Rente und zieht
     ans Meer, und dann stirbt man. Man ärgert niemanden, man tut das Richtige. Das waren die Worte meines Vaters. ›Mein Kind,
     du mußt das Richtige tun.‹ Wer bestimmt, was das Richtige ist? Die anderen? Wieso liegt es bei denen, zu entscheiden, was
     das Richtige ist? Man zahlt fürs Parken und fährt nie zu schnell und macht keinen Lärm nach zehn Uhr abends. Man tut seine
     Pflicht. Ein weiterer Klassiker meines Vaters. ›Die Leute müssen ihre Pflicht tun, mein Kind.‹ Ihrer Familie, ihrer Stadt,
     ihrem Land gegenüber? Warum? Was bekommen sie dafür, ihre Pflicht zu tun? Mein Vater tat seine Pflicht bei der Armee, und
     er war tot, bevor er seine Pension bezog. Meine Mutter tat ihre Pflicht uns gegenüber, und sie war niemals in Kapstadt oder
     Europa oder sonstwo. Nach all der Pflicht war niemals Geld übrig für irgend etwas. Nicht für Klamotten oder Autos oder Möbel
     oder Urlaub. Aber für sie war das in Ordnung, denn man soll nicht angeben, das ist nicht richtig.
    Alle wollen, daß man ganz normal ist. Alles, was sie einem beibringen, ist nur darauf ausgerichtet, daß man nicht auffällt.
     Aber ich war anders. Ich konnte nichts dafür. So bin ich eben. Wenn meine Mutter oder irgend jemand anders oder die Schule
     sagten, ich sollte etwas tun, dann fragte ich mich, wie es sich anfühlte, das Gegenteil zu tun. Ich wollte sehen, wie es von
     der anderen Seite aussah. Also tat ich das. Ich rauchte und trank. Aber mit fünfzehn oder sechzehn drehen sich fast alle Verbote
     um Sex. Du darfst dies nicht tun und das nicht tun, denn du bist ein anständiges Mädchen. Ich wollte wissen, warum ich ein
     anständiges Mädchen zu sein hatte. Wozu? Damit ich einen anständigen Mann bekäme? Ein anständiges Leben, mit anständigen Kindern?
     Und ein anständiges Begräbnis mit vielen Besuchern? Also tat ich dies und das. Und je mehr ich tat, desto klarer wurde mir,
     daß die andere Seite viel interessanter ist. Die meisten Leute wollen nicht anständig sein, sie wollen anders sein, aber sie
     haben nicht den Mut. Sie haben zu |335| viel Angst, daß jemand etwas sagt. Sie haben Angst, daß sie all das langweilige Zeug in ihrem Leben verlieren. Da war dieser
     Lehrer, er war so pflichtbewußt. Ich habe ihn bearbeitet. Und ich habe mit ihm im
Students Christian Association Camp
auf The Island geschlafen. Er sagte: Gott, Christine, ich habe mich schon so lange nach dir gesehnt. Also fragte ich ihn,
     warum er nichts unternommen hätte. Er konnte mir das nicht beantworten. Und dieser Freund meines Vaters. Wenn er zu uns nach
     Hause kam, warf er mir Blicke zu, aber dann setzte er sich neben seine Frau und hielt ihre Hand. Ich wußte, was er wollte.
     Ich bearbeitete ihn, und er sagte, er mag junge Mädchen, aber es sei sein erstes Mal.«
    Sie drückte ihre Zigarette aus und wandte sich ihm halb zu.
    »Er war so alt wie Sie«, sagte sie, und einen Augenblick lang glaubte er,

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