Der Atem des Jägers
anderen. Gerhard und ich
gingen zur Schule, und am Nachmittag war unsere Mutter da; wir machten Hausaufgaben und spielten. Am Wochenende gingen wir
einkaufen und grillten und machten Besuche und gingen in die Kirche, und im Dezember fuhren wir immer nach Hartenbos, es war
wirklich nichts Besonderes an uns. Nichts, was mir aufgefallen wäre, als ich sechs oder acht oder zehn war. Mein Vater war
mein Held. Ich erinnere mich noch an seinen Geruch, wenn er am Nachmittag nach Hause kam und mich umarmte. Er nannte mich
sein großes Mädchen. Er hatte eine Uniform mit glänzenden Sternen auf der Schulter. Und meine Mutter …«
»Sind Ihre Eltern noch am Leben?« fragte der Priester plötzlich.
»Mein Vater ist tot«, sagte sie. Endgültig, als würde sie dazu nichts mehr sagen.
»Und Ihre Mutter?«
»Es ist lange her, daß ich sie gesehen habe.«
»Ach?«
»Sie lebt in Mossel Bay.«
Er sagte nichts.
»Sie weiß es jetzt. Was für eine Arbeit ich gemacht habe.«
»Aber sie hat es nicht immer gewußt?«
»Nein.«
»Wie hat sie es herausgefunden?«
|38| Sie seufzte. »Das ist Teil der Geschichte.«
»Und Sie glauben, sie lehnt Sie ab? Weil sie es jetzt weiß?«
»Ja. Nein … ich glaube, sie ist auf einem Schuld-Trip.«
»Weil Sie Prostituierte wurden?«
»Ja.«
»Und, ist es ihre Schuld?«
Sie konnte nicht mehr länger stillsitzen. Sie erhob sich, ging hinüber zu der Wand hinter sich, um eine größere Entfernung
zwischen ihnen zu schaffen. Dann näherte sie sich der Rückenlehne ihres Sessels und packte sie.
»Vielleicht.«
»Aha?«
Sie ließ den Kopf sinken, ihr Haar bedeckte ihr Gesicht. So blieb sie stehen, ganz still.
»Sie war sehr schön«, sagte sie schließlich, schaute auf und löste ihre Hände von der Sessellehne. Sie ging nach rechts, auf
die Bücherregale zu, den Blick auf die Bücher gerichtet, ohne sie zu sehen.
»Sie verbrachten ihre Flitterwochen in Durban. Und die Fotos … sie hätte jeden Mann haben können. Sie hatte eine tolle Figur.
Ihr Gesicht … sie war so hübsch, so zerbrechlich. Und sie lachte, auf allen Fotos. Manchmal glaube ich, das war das letzte
Mal, daß sie gelacht hat.«
Sie wandte sich dem Priester zu, lehnte sich mit der Schulter gegen das Bücherregal, strich mit einer Hand liebevoll über
die Buchrücken. »Es muß schwer gewesen sein für meine Mutter, wenn mein Vater weg war. Sie hat sich nie beklagt. Wenn sie
wußte, daß er nach Hause kam, brachte sie das Haus in Ordnung, von oben bis unten. Sie nannte es den Frühjahrsputz. Aber sich
selbst nie. Sauber und ordentlich, ja. Aber sie benutzte immer weniger Make-up. Ihre Kleidung wurde unförmiger, langweiliger.
Sie schnitt sich das Haar. Sie wissen ja, wie es ist, wenn man jeden Tag mit jemand verbringt – man bemerkt die kleinen Veränderungen
nicht.«
Sie legte die Arme wieder über Kreuz, umarmte sich, wappnete sich.
|39| »Und dann begann das mit der Kirche … da muß es angefangen haben. Er kam von der Grenze zurück und sagte, wir würden in eine
andere Kirche gehen. Nicht mehr in die niederländisch-reformierte Kirche auf der Militärbasis, wir würden jetzt die Kirche
in der Stadt besuchen, die sich sonntags in der Grundschule versammelte. Viel Geklatsche und Gesegne und Gespräche … Gerhard
und mir hätte das Spaß gemacht, wenn unser Vater es nicht so ernst genommen hätte. Plötzlich hielten wir jeden Tag zu Hause
Versammlungen ab, und er betete lange Gebete gegen die Dämonen, von denen wir besessen waren. Er begann davon zu reden, die
Armee zu verlassen, damit er als Missionar arbeiten könnte, und den ganzen Tag marschierte er mit der Bibel herum, und nicht
mit der kleinen Soldatenbibel, sondern mit einer großen. Es war ein Teufelskreis, denn die Armee war anfangs vielleicht noch
verständig, aber später begann er dafür zu beten, daß Gott die Dämonen aus dem Colonel und dem Brigadier austrieb und daß
Gott ihm die Türen öffnete.«
Sie schüttelte den Kopf. »Es muß schlimm gewesen sein für meine Mutter, aber sie tat nichts.«
Sie kehrte zurück zu ihrem Sessel. »Nicht einmal, als er mit mir anfing.«
7
Thobela fuhr mit dem Bakkie nach Kapstadt, denn das Motorrad würde Verdacht erregen. Sein Koffer stand neben ihm auf dem Beifahrersitz.
Von Port Elizabeth Richtung Knysna. Er sah die Berge und die Wälder und fragte sich, wie immer, wie es wohl vor tausend Jahren
hier ausgesehen hatte, als es hier nur Khoi und San gab und die
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