Der Atem des Rippers (German Edition)
gebeten, mir Bücher über Geisteskrankheiten zu besorgen. Will versuchen, mich selbst zu kurieren. Ich bin Chirurg und habe von Eingriffen gehört, die manische Zustände kurieren können. Ich würde mir zutrauen, eine einfache Operation an mir selbst auszuführen, wenn mir ein starkes Schmerzmittel und ein Spiegel zur Verfügung stünden.
Der Pater hat abgelehnt. Natürlich. Es wäre auffällig, würde er sich jetzt in öffentlichen Bibliotheken oder Buchhandlungen nach Büchern über gefährliche Geistesstörungen umsehen.
Es scheint keinen Ausweg aus meinem Irrsinn zu geben.
Statt der gewünschten Lektüre bringt er mir geistliche Bücher aus seiner privaten Bibliothek. Das ist besser als nichts. Es hält meinen Verstand beschäftigt und verhindert, dass ich weiterhin Dinge tue, von denen ich nicht weiß, ob sie einer Krankheit entspringen oder ob ich sie nur unternehme, um mir die Diagnose zu erleichtern. Ist es Wahnsinn, sich für wahnsinnig zu halten?
6. November 1888
Drei Tage bis zu meiner Abreise. Der Pater besucht mich nun öfters und scheint mich aufmerksam zu beobachten. Ich verstehe. Er hofft, dass ich die Reise bei guter Gesundheit antreten kann. Er zählt auf mich. Natürlich hat er sie nie abgesagt. Dass ich nach Burma verschwinde, ist seine einzige Chance, unbescholten aus der Sache herauszukommen.
„Sie müssen mir versprechen, drüben keine Frauen zu töten“, sagte er mir vor einer Stunde mit überraschender Klarheit. Die Zeit für Versteckspiele ist vorüber. Noch drei Tage. Kein Raum mehr für Lügen.
„Ich verspreche es, solange ich bei Sinnen bin“, antwortete ich. „Doch wenn der Irrsinn von mir Besitz ergreift, kann ich für nichts garantieren.“
„Dann müssen Sie dafür sorgen, dass er Ihnen fernbleibt“, erwiderte er mit unbestechlicher Logik. „Ich werde übermorgen den Schlüssel abziehen und Ihnen bei Ihren Vorbereitungen helfen. Ich vertraue Ihnen. Denken Sie daran. Ich vertraue Ihnen, obwohl Sie mich immer wieder enttäuscht haben – ganz, wie der Herr es uns lehrt.“
Ich nickte. Drei Tage. Zwei, bis die Tür aufging. Wenig Zeit, um den Wahnsinn zu besiegen.
Als er gegangen war, blätterte ich wieder in den Büchern, die er mir gebracht hatte. Seit Wochen habe ich nicht mehr gebetet, nicht mehr zu Gott geredet, und er hat nicht zu mir gesprochen. Es gibt eine Chiffre, in der er sich mir immer mitgeteilt hat …
Der 9. November, der Tag meiner Abreise, ist der Tag des Aurelius von Rifitio. Wer immer dies liest, kann sich nicht vorstellen, wie ich erschrak, als es mir bewusst wurde.
Wieder ist es ein Mosaik, bei dem jedes Steinchen zum anderen passt und es zu einer unbestreitbaren Tatsache werden lässt, dass Gott direkt zu mir spricht.
Erstens: Ich habe nur drei Tage Zeit, um meinen irr gewordenen Verstand in Ordnung zu bringen. Ich muss es tun, muss nach Burma gehen und dem Galgen entfliehen, nicht um meiner Willen, sondern um des armen Paters Willen, der unschuldig in die Sache hineingeraten ist und über lange Wochen hinweg mein Leben verschont hat. Drei Tage, um meinen kranken Kopf zu kurieren und den seinen aus der Schlinge zu ziehen.
Zweitens: Der Pater wird mich am Vortag meiner Abreise in die Freiheit entlassen, und mein Schiff geht am neunten gegen acht Uhr morgens.
Drittens: Aurelius von Rifito ist der Schutzheilige gegen Kopfkrankheiten.
17
8. November 1888
Ich werde dem heiligen Aurelius ein Opfer bringen müssen, um endlich diesem Reigen des Irrsinns zu entfliehen.
Gott hat mir geschickt, worauf ich gewartet habe: Einen Lichtstrahl durch die Finsternis.
12. November 1888
Ich befinde mich auf dem Schiff nach Kalkutta. Es ist bald Mittagszeit, die Seeluft tut mir gut, und ich bekomme allmählich Hunger. Ich fühle mich nicht so schlecht, wie ich es befürchtet habe. Die seelischen Wunden werden Zeit brauchen, um zu verheilen, denn der Chirurg in mir hatte für einige Stunden ganz von mir Besitz ergriffen und alle Operationen, die ihm seit meiner Bekehrung zum Glauben entgangen sind, an einem einzigen armen Leib ausgeführt. Doch ich spüre, dass ich gleichzeitig den Chirurgen und den Gläubigen befriedigt habe – befriedigt für alle Zeiten, mit einer Tat, die eine medizinische und eine rituelle Seite hatte. Meine Geisteskrankheit, falls ich je unter einer solchen litt, empfinde ich als bezwungen.
Weit, weit vor mir liegt Mandalay. Einige Geistliche sind an Bord. Ihr Ziel ist auch mein Ziel. Sie erzählen mir, dass im Jahr 1813 ein
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