Der Attentäter - The Assassin
hob.
Al-Tikriti sah noch den grellen Mündungsblitz.
Dann übermannte ihn Finsternis.
60
Washington, D. C.
Als der weiße Ford Ranger in der Q Street anhielt, direkt nördlich des Dupont Circle, war es kurz vor halb sieben morgens und noch dunkel. Es schneite, und die Frau hinter dem Steuer, die das Fahrzeug erst vor zehn Minuten in Georgetown gestohlen hatte, blies sich auf die Hände, wütend auf den Regler für die Heizung blickend. Offenbar dauerte es eine Ewigkeit, bis es in dem Auto warm wurde, doch mit ein bisschen Glück würde sie es ohnehin nicht mehr lange brauchen. Yasmin Raseen besaß noch einen Satz anständiger Dokumente, darunter einen abgegriffenen italienischen Pass und eine von einer Londoner Bank ausgegebene Kreditkarte, mit der sie bereits ein Ticket für den United Flight 920 in die britische Hauptstadt gebucht hatte. Die Maschine mit Ziel Heathrow würde am Mittag starten. Nicht mehr lange, dann verließ sie die Vereinigen Staaten zum ersten und hoffentlich letzten Mal.
Obwohl sie einen Wollpullover und eine Steppjacke trug, war ihr immer noch kalt, und sie hatte die Hände unter den Pullover geschoben, um sie an der warmen Haut ihres Bauchs zu wärmen. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was einen Mann dazu bringen konnte, bei dieser Kälte jeden Morgen durch die Straßen von Washington zu rennen. Wenn sie eine gläubige Frau gewesen wäre, hätte es zu ihren Gewohnheiten gehört, noch früher aufzustehen, um bei Tagesanbruch ihr Morgengebet zu sprechen. Aus religiösen Gründen früh aufzustehen,
erschien ihr nachvollziehbar; dem Gebet, auch wenn sie selbst nicht gläubig war, gestand sie eine Bedeutung zu, und vor allem konnte es im Haus oder in der Moschee verrichtet werden. Im Gegensatz zu diesen Dauerläufen in der Kälte, die ihr als eine seltsame Übung erschienen. Wenn man das Glück hatte, nicht überfallen zu werden, holte man sich doch mit ziemlicher Sicherheit eine üble Erkältung.
Es hatte länger als erwartet gedauert, die richtige Adresse in der General’s Row herauszufinden. Da man in der ruhigen Gegend leicht auffiel, hatte sie es mit der Observation nicht übertreiben dürfen, aber sie war jeden Tag einmal die ganze Straße hinabgegangen, was sich keinesfalls ihrer freien Entscheidung verdankte. Aber sie hatte kein Auto und wollte das Risiko eines Diebstahls erst eingehen, wenn der Moment des Handelns gekommen war. Nach mehreren Wochen war sie zu dem Schluss gekommen, dass es nur eine Adresse sein konnte, und ihr Verdacht wurde bestätigt, als der gleiche schwarze Suburban mit Kennzeichen einer Regierungsbehörde den zweiten Mann der CIA morgens viermal nacheinander abholte und ihn abends zu unterschiedlichen Zeiten wieder absetzte.
Bisher hatte Harper seinen morgendlichen Dauerlauf nie ausfallen lassen, und bald war klar, dass sie bei dieser Gelegenheit am besten zuschlagen konnte. Um diese Zeit war er bestimmt noch nicht richtig wach und ahnte nichts Böses, und sie konnte in den noch verwaisten Straßen besser entkommen, wenn der Job erledigt war. Nachdem sie sich alles zurechtgelegt hatte, buchte sie den vom Dulles International Airport abgehenden Flug, und jetzt musste sie den Plan nur noch in die Tat umsetzen.
Schließlich öffnete sich die Tür des Hauses, und Harper kam die vereisten Stufen hinunter. Er trug eine Trainingsanzugshose,
Turnschuhe, ein Sweatshirt mit dem Namenszug des Boston College, dünne Handschuhe und eine Wollmütze. Nachdem er einen Moment zu dem dunklen Himmel aufgeblickt hatte, machte er ein paar Dehnübungen. Vor seinem Mund bildeten sich Atemwölkchen, und das Licht einer Straßenlaterne warf einen sich bewegenden Schatten auf das Pflaster.
Nach einer Weile ging er in nördlicher Richtung davon, sie konnte ihm noch lange nachblicken. Dann begann er hinter der S Street zu laufen, bog aber unmittelbar darauf ab, sodass er nicht mehr zu sehen war. Aber sie machte sich keine Gedanken, denn er würde auf exakt demselben Weg heimkehren wie an den letzten vier Tagen, wo sie ihn aus größerer Entfernung durch ein Fernglas beobachtet hatte. Wenn er in etwa vierzig Minuten zurückkam, würde sie ihm einen netten persönlichen Empfang bereiten.
Ihre rechte Hand tastete nach dem Griff der Beretta, die ihr Amir Nazeri kurz vor seinem Tod in New York gegeben hatte. Der Metallgriff war kalt, aber es war trotzdem ein beruhigendes Gefühl. Die Waffe lag auf dem Beifahrersitz, unter einem Exemplar der Washington Post vom Vortag, das ihr sofort
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