Der Aufbewarier (German Edition)
Gisch, als freute er sich, dass er sich die Nacht um die Ohren schlagen durfte.
Wann schläft der Kerl, dachte Daut, der sich insgeheim fragte, wie er diese Nacht durchhalten sollte.
Montag, 1. März 1943
Einundzwanzig
Daut zerknüllte das leere Zigarettenpäckchen. Wie viele Glimmstängel hatte er in dieser Nacht schon geraucht? Er hatte sie nicht gezählt, und genutzt hatte es auch nichts, er war hundemüde. Zum Glück dämmerte der Morgen, und es bestand die Hoffnung, dass sie bald abgelöst würden.
Es war die ganze Zeit ruhig gewesen. Die Frauen hatten bis auf eine Handvoll Standhafte die Nacht zu Hause verbracht. Seit einer Stunde kamen mehr und mehr Protestierende zurück. Die meisten brachten Pakete für ihre inhaftierten Angehörigen mit und warfen sie über den Zaun.
Ein Auto bog mit hoher Geschwindigkeit von der Kaiser-Wilhelm-Straße ein und hielt direkt von dem Zaun. Rösen sprang aus dem Wagen und schnauzte Gisch an:
»Warum lassen Sie Ihren Kollegen Daut nicht endlich in Ruhe. Er ist von Kriminalrat Rudat für die Ermittlungen in der Mordsache Grahn abgestellt.«
Er winkte Daut heran, der in den P 4 kletterte, ehe Gisch antworten konnte, dass ihn das alles nichts anging.
Rösen fuhr mit durchdrehenden Reifen an.
»Guten Morgen, Axel. Die Frage, ob du gut geschlafen hast, erübrigt sich ja wohl.«
»Hast du was zu rauchen für mich?«
Rösen fingerte ein Päckchen Nil aus der Jackentasche und reichte es Daut.
»Du auch?«
Rösen nickte, und Daut entzündete zwei Zigaretten.
Als sie in die Neue Friedrichstraße abbogen, sahen sie Carla auf dem Bürgersteig. Sie trug ein Päckchen unter dem Arm und hatte eine vollgepackte Tasche dabei.
Rösen nickte ihr zu, aber sie erkannte ihn nicht.
»Ist das nicht die kleine Schauspielerin? Hast du eigentlich was mit der?«
»Lass mich mit so einem Quatsch in Ruhe. Ich bin hundemüde und will nur eins: schlafen.«
»Daraus wird nichts, mein Lieber. Wir fahren jetzt zuerst zu Grahn und fühlen ihm ein bisschen auf den Zahn. Ich kann mir nicht helfen, aber der Typ ist irgendwie nicht koscher. Außerdem sollten wir dringend Martha Grahns ehemaligen Kollegen bei OSRAM einen Besuch abstatten. Es würde uns ja schon helfen, den Tatzeitpunkt einzugrenzen, wenn wir wüssten, wann sie zum letzten Mal zur Arbeit erschienen ist. Wenn wir Glück haben, hatte sie Freunde oder Bekannte, die uns in Sachen Motiv weiterbringen.«
Er drehte sich zu Daut um, der mit geschlossenen Augen in seinem Sitz zusammengesunken war.
»Wenn ich dich so anschaue, brauchst du aber erst einen Kaffee und ein ordentliches Frühstück.«
Daut rieb sich die Augen. »Red keinen Mumpitz, als ob du einen ordentlichen Kaffee auf den Tisch bringen könntest.«
Rösen lachte kurz auf.
»Lass dich überraschen.«
Sie hielten vor der Wohnung von Rösens Freundin Irma Hinrichs. Als Rösen die Wohnungstür öffnete, glaubte Daut an eine Täuschung seiner Geruchsnerven. Anscheinend war er so übermüdet, dass er fantasierte. Es roch nach kräftigem, frisch gebrühtem Kaffee.
Während sie im Flur die Mäntel an der Garderobe aufhängten, rief Rösen nach Irma.
»Ich bin in der Küche, kommt rein.«
Als Daut den Küchentisch sah, glaubte er im Schlaraffenland zu sein. Aus den Tassen dampfte der tiefschwarze Kaffee, und offenbar gab es noch mehr davon, denn eine selbst gehäkelte, dunkelrote Stoffmütze hielt eine Kanne warm. Auf einem Holzbrettchen lag ein Viertel Pfund Butter, neben jedem Teller stand ein Eierbecher, es gab einem Korb mit frischem Brot und ein Glas Kirschmarmelade.
Alma begrüßte Daut fröhlich.
»Setz dich und lass es dir schmecken. Möchtest du noch etwas Käse? Ich habe da noch ein Stück Tilsiter.«
Als er den ersten Bissen von dem frischen Brot mit herzhaftem Käse aß, spürte Daut, wie hungrig er war. Er langte ordentlich zu und war froh, dass es bei belanglosen Plaudereien über das Wetter und die schlesische Sitte blieb, zum gekochten Ei ein kleines Stück Butter auf den Eierlöffel zu nehmen.
Eine gute Stunde später fuhren Rösen und Daut vor dem Gebäude in der Perleberger Straße unweit des Poststadions vor, in dem Werner Grahn mit seiner Freundin im Hinterhaus wohnte.
Alma Winkelbauer öffnete die Tür. Vermutlich war sie noch nicht lange wach, denn sie trug einen abgewetzten Morgenmantel und blickte die Polizisten, die nach ihrem Freund fragten, aus verquollenen Augen an. Sie kontrollierte nervös den Sitz des Stoffgürtels, ehe sie die
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