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Der Aufbewarier (German Edition)

Der Aufbewarier (German Edition)

Titel: Der Aufbewarier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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sagst. Wir sollten dem Quint mal gründlich auf den Zahn fühlen. Aber erst haben wir noch etwas anderes vor.«
    Daut schaute fragend zur Seite.
    »Was gibt es denn so Wichtiges?«
    Rösen tätschelte sich den Bauch.
    »Ich habe Kohldampf, mein Lieber. Jetzt gib es erst einmal was Ordentliches zwischen die Zähne.«
    »Ich bin immer noch satt nach dem opulenten Frühstück.«
    »Wart’s ab, der Hunger kommt beim Essen.«

Zweiundzwanzig
     
     
    Carla blickte sich um. Die Rosenstraße stand voller Menschen. Sie drängten sich auf dem Bürgersteig, und an einigen Stellen mussten sie sogar auf die Straße ausweichen. Wie viele es waren? Die Zahl Tausend machte die Runde. Carla konnte das nicht glauben, aber zählen konnte sie die Protestierenden auch nicht mehr. Und es kamen immer noch welche dazu. Obwohl es nicht mehr so kalt war wie am Abend zuvor, hakten sich manche unter, um sich gegenseitig zu wärmen, aber auch, um sich Mut zuzusprechen. Denn sie hatten Angst. Um ihre Männer und um sich selbst. Immer wieder riefen sie - mal vereinzelt, mal im Chor:
    »Gebt uns unsere Männer zurück. Wir wollen unsere Männer wiederhaben.«
    Aus dem Gebäude des jüdischen Wohlfahrtsamtes, dessen Name seiner jetzigen Funktion Hohn sprach, gab es schon länger keine Reaktion. Vor einigen Stunden hatten SS-Männer die von den Frauen über den Zaun geworfenen Pakete aufgesammelt und ins Haus gebracht. Draußen blieb ihnen nur die Hoffnung, dass sie ihre Adressaten auch erreichten.
     
    Ein Motorrad mit Beiwagen bog mit hoher Geschwindigkeit in die Rosenstraße und stoppte mit einer Vollbremsung vor dem Zaun, kurz darauf folgte ein Lkw. Aus dem Seitenwagen kletterte ein SS-Obersturmführer. Erstaunlich jung sah er aus, Carla meinte fast, die Pickel auf seinem Gesicht zu sehen. Warum schickten sie nur solche Jüngelchen, gab es keine gestandenen Männer mehr für Einsätze im Reich?
    »Absitzen!«
    Er hatte eine Fistelstimme, der jede Autorität fehlte. Außerdem überschlug sie sich fast.
    Vier SS-Männer sprangen von der Ladefläche. Von oben wurden zwei Maschinengewehre heruntergereicht, und zwei weitere Männer kletterten vom Lkw. Sie schleppten die schweren Schnellfeuerwaffen zur Litfaßsäule und stellten sie auf einen Ständer. Hinter jedes Gewehr hockte sich ein Mann, ein anderer hielt den Munitionsgurt, und ein dritter stand wie unbeteiligt daneben.
    Der Offizier baute sich breitbeinig und mit in die Hüften gestemmten Händen zwischen den beiden MGs auf. Was bedrohlich wirken sollte, empfand Carla als komisch. Als spielte das Jüngelchen Krieg. Dabei war er viel zu jung für dieses Spiel.
    Er kreischte mit seiner Fistelstimme:
    »Räumen Sie sofort die Straße!«
    Niemand rührte sich. Im Gegenteil, die Frauen rückten langsam, aber stetig enger zusammen. Eine Mauer des Schweigens.
    Die Stimme des Obersturmführers erreichte noch größere Höhen und überschlug sich jetzt endgültig.
    »Zum letzten Mal: Räumen Sie die Straße - oder ich lasse schießen.«
    Totenstille, nur das Räuspern des Soldaten am rechten MG, gefolgt von einem geflüsterten Fluch, der eher ein Flehen war.
    »Verdammte Scheiße, nun geht schon endlich.«
    »Schnauze!«, brüllte der Offizier und stolzierte nervös zwischen den beiden Gewehren auf und ab.
    In die Gruppe der Frauen kam fast unmerklich Bewegung. Die auf der Straße Stehenden drängten nach hinten, und alle rückten zusammen und hakten sich beieinander ein. Eine alte Frau aus der zweiten Reihe rief: »Wir bleiben hier!«
    »Genau!«, schrie Carla und wunderte sich über ihre tiefe und feste Stimme. Ihre Nachbarin ergänzte:
»Wir gehen erst, wenn unsere Männer aus dem Haus kommen.«
    Carla hatte die Frau nie zuvor gesehen. Sie drückte ihre Hand, und beide lächelten.
    Wie von einem unsichtbaren Dirigenten geleitet, erhob sich ein vielstimmiger Chor.
    »Gebt uns unsere Männer zurück!« - »Wir wollen unsere Männer wiederhaben!«
    Wieder und wieder riefen sie die Parolen. Immer lauter, immer mutiger schleuderten sie den Soldaten ihre Forderung entgegen.
    Der Offizier lief mit seltsam zögernden Schritten zwischen den beiden Maschinengewehren auf und ab. Seine Finger waren in ständiger Bewegung, mal knetete er jeden einzelnen, dann wieder rieb er seine Handflächen. Ruckartig griff er sich an die Mütze, als wollte er sie herunterreißen, hielt aber doch inne und legte sich nur die Handfläche auf den Kopf. Dabei straffte sich sein Körper wie der einer Marionette, an dessen Fäden

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