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Der Aufbewarier (German Edition)

Der Aufbewarier (German Edition)

Titel: Der Aufbewarier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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wobei ihre von Falten umrahmten Augen aufblitzten. »Ich stehe hier für meinen Schwiegersohn. Meine Tochter ist nach Hause gegangen, um ihm ein Paket zu packen und uns wärmere Kleidung zu holen. Es soll kalt werden heute Nacht.«
    »Da! Schaut!«
    Der Ruf hallte von den Hauswänden zurück. Augenblicklich verstummten alle Gespräche. Die Frauen schauten zum kleinen Fenster über dem Eingang hinauf, hinter dem sich ein Schatten bewegte. Winkte da jemand? Tatsächlich! Da stand ein Mann und winkte. Carla winkte zurück wie die meisten der Frauen.
    »Gerd«, schrie eine Frau. »Gerd, bist du das?«
    Die Silhouette hinter der Glasscheibe verschwand.
    Carla gab der alten Frau den Becher.
    »Danke!«
    »Du solltest dir etwas Wärmeres anziehen.« Die betagte Dame nahm ein Stück Stoff von Carlas Mantel zwischen Daumen und Zeigefinger. »Mit dem Fähnchen hier gewinnst du zwar den Schönheitswettbewerb der Rosenstraße, überstehst aber kaum die Nacht.«
    Die Frau hatte recht. Carla fror trotz des wärmenden Getränks immer noch so sehr, dass sie zu schlottern begann. Sie musste in ihre Wohnung gehen und sich umziehen. Aber vorher brauchte sie Gewissheit, ob Kurt inzwischen im Sammellager war.
    Langsam löste sie sich aus der Gruppe und ging auf den wachhabenden SS-Mann zu. Erst als sie sich ihm näherte, sah sie, wie jung er war. Fast ein Kind mit Pickeln im Gesicht. Er schaute sie ängstlich an.
    »Guten Abend.« Carla versuchte, sein Vertrauen zu gewinnen.
    »Vielleicht können Sie mir helfen, Herr Soldat.«
    Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Der Jüngling folgte ihrer Hand mit seinen Augen.
    »Ich bin sogar sicher, dass Sie mir helfen können.«
    »Was wollen Sie?«
    So sehr er sich auch um einen harten, festen Ton bemühte, hörte Carla doch die Unsicherheit aus seiner Stimme.
    »Mein Mann hat heute Morgen unsere Lebensmittelkarten mitgenommen, und jetzt kann ich nichts einkaufen. Ich muss doch morgen etwas zu essen haben.«
    Was für eine blöde Lüge. Natürlich hatte Kurt die Karten nicht mitgenommen, er hätte ja mit ihren Karten gar nicht einkaufen können. Juden war nur noch der Zutritt zu speziellen Geschäften gestattet, und das auch nur wenige Stunden am Tag.
    Der Soldat aber fragte - und diesmal gelang es ihm schon besser, militärisch zu klingen:
    »Wie heißt Ihr Mann?«
    »Kurt May. Bitte ...«
    Carla berührt den Wachmann leicht am Arm.
    Er drehte sich rasch um und betrat das Gebäude.
    Carla blieb wie angewurzelt vor der Tür stehen, argwöhnisch von den Polizisten beobachtet, die auf der Stelle trampelten, um sich die Füße zu wärmen.
    Nach fünf Minuten kam der SS-Mann zurück. Er drückte ihr einen gefalteten Zettel in die Hand.
    »Mehr kann ich nicht tun.«
    »Danke.«
    Carla flüsterte fast und ging langsam zu den anderen Frauen zurück. Sie traute sich kaum, den Zettel aufzufalten.
    Es war nur ein Satz, hastig mit einem Bleistift auf einen von einem Formular abgerissenen Papierfetzen geschrieben, aber Carla erkannte die Handschrift sofort.
    »Es geht mir gut. Kurt.«
    Sie faltete den Zettel vorsichtig zusammen und steckte ihn in die Manteltasche.
    Alles wird gut, dachte sie und wunderte sich im gleichen Augenblick über ihre Gewissheit.

Zwanzig
     
    Die Wurststulle lag ihm schwer im Magen. Daut griff unter das Bett und zog den Kasten hervor, in dem er seine Schätze aufbewahrte. Zum Glück bekam er regelmäßig Pakete von seinem Vater, das Angebot in den Berliner Geschäften wurde nicht nur immer eintöniger, sondern auch von Woche zu Woche ungenießbarer. Meistens enthielten die Fresspakete aus dem Münsterland eine Hartwurst, seltener ein Stück Schinken, aber immer eine Flasche Schnaps. Ob Luise davon wusste? Er schaute in die Kaffeetasse. Sie war halbwegs sauber, und er goss sich einen Schluck von dem Selbstgebrannten ein. Die klare Flüssigkeit rann angenehm warm seine Kehle hinunter. Bevor er den Karton zurück in sein Versteck schob, nahm er den letzten Brief heraus. Luise schrieb ihm ein Mal in der Woche, immer sonntags, so bekam er ihre Nachricht dienstags, spätestens mittwochs. Manchmal war es nur eine Seite, oft aber auch viel mehr. Den längsten Brief hatte sie am Tag nach dem Tod ihres Vaters geschrieben, eine neun Seiten lange Abrechnung mit ihrer Kindheit. Der Brief vom letzten Sonntag war dagegen fast heiter. Alltagserlebnisse einer Mutter auf dem Lande. Ohne den Brief aus der Hand zu legen, schlief Daut ein.
     
    »Axel, aufwachen.«
    Daut öffnete die Augen.

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