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Der Aufbewarier (German Edition)

Der Aufbewarier (German Edition)

Titel: Der Aufbewarier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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kalte, metallene Haut des Mercedes beschützte die Passagiere vor dem Inferno. Carla starrte durch die Scheibe nach draußen und krallte ihre Finger direkt oberhalb der Prothese in Dauts Arm. Er legte seine Hand auf ihre. Der teure Handschuh, Luises Weihnachtsgeschenk, war völlig versenkt und an mehreren Stellen aufgerissen. Wie ein Sinnbild der Stadt, schoss es Daut in den Kopf. Der Chauffeur musste mehrmals umkehren und sich einen anderen Weg suchen. Je näher sie dem Zentrum kamen, desto größer waren die Verwüstungen. Ganze Straßenzüge standen in Flammen. Vielstöckige Bauten waren zusammengestürzt zu Steinhalden. Von anderen Gebäuden standen die Frontfassaden wie potemkinsche Häuser, die Fenster durch Flammen gespenstisch erleuchtet, als fände dahinter ein Totentanz statt. Überall kletterten Menschen über die Trümmerberge auf der verzweifelten Suche nach verschütteten Verwandten und Freunden. Schreie hallten durch die Nacht und überdeckten das Furcht einflößende Knistern des Feuers. Je länger sie unterwegs waren, desto unerträglicher stank es selbst im Auto. Berlin war in Minuten zu einem Schreckensort geworden, von dem aus man direkt in die Hölle schaute. Ach was, es war die Hölle.
    Carla legte die Stirn an die Scheibe.
    »Das ist ihre Rache für die Verhaftung der Juden.«
    Daut überlegte, ob er Carla diesen tröstlichen Glauben, die Welt interessiere sich für das Schicksal ihres Mannes, lassen sollte. Er konnte es nicht.
    »Das glaube ich nicht. Sie wollen uns einfach zeigen, dass sie die Macht haben, alles zu zerstören.«
     
    Je näher sie Carlas Wohnung kamen, desto geringer wurden die Schäden, und in ihrer Straße hatte man den Eindruck, es sei nichts geschehen. Nachdem Carla das Haus betreten hatte, bat Daut den Chauffeur, ihn ins Sedanviertel zu fahren. Auch hier herrschte eine trügerische Normalität. Er rannte die Treppen zur Engelmannschen Wohnung hinauf. Die Witwe saß im Wohnzimmersessel, auf dem Tisch stand eine Flasche Kräuterschnaps, von dem sie schon einige Gläser getrunken zu haben schien, denn sie hatte Mühe, fehlerfrei zu artikulieren.
    »Was haben wir für ein Glück gehabt. Die armen Schweine in Mitte. Die armen Schweine.« Dabei nickte sie ununterbrochen.
    Daut ging in sein Zimmer, zog den verdreckten Anzug aus und die Uniform an. Den Handschuh über der Prothese wechselte er nicht, er war eh nicht mehr zu retten. Nach einem Blick ins Wohnzimmer - die Engelmann war inzwischen im Sessel eingeschlafen - fuhr er mit dem Fahrrad zum Revier.
    »Mensch, Daut, gut, dass Sie kommen. Wir können jeden Mann gebrauchen.«
    Es war das erste Mal, dass der Revierhauptmann ihn mit Handschlag begrüßte. Diese Nacht änderte alles.
    »Haben Sie schon einen Überblick über die Schäden?«, fragte Daut.
    Von Grätz schüttelte den Kopf.
    »Wir wissen nur, dass mehrere Tausend Wohnungen zerstört sind.«
    »Wie viele Tote?«
    »Hunderte.«
    Von Grätz klang sachlich, doch Daut sah die Tränen in seinem Gesicht.

Sechsundzwanzig
     
     
    Rösen wurde immer nervöser. Es war bereits halb zehn, und Daut ließ immer noch auf sich warten, obwohl sie sich für acht Uhr verabredet hatten. Rösen hatte mehrfach Dauts Revier in der Gotenstraße angerufen und erfahren, dass Axel dort mitten in der Nacht aufgetaucht war. Man hatte ihn nach Charlottenburg geschickt. Das Viertel hatte es besonders schwer getroffen, vor allem rund um den Kurfürstendamm waren viele Häuser zerstört. Die Schutzpolizei war für die Absperr- und Sicherungsmaßnahmen zuständig, und sie brauchten dort jeden Mann. Selbstverständlich packten die Polizisten auch bei Rettungs- und Bergungsarbeiten mit an, räumten Trümmer beiseite, um Eingeschlossenen zu helfen. Das war nicht ungefährlich, immer wieder wurden Helfer selbst zu Opfern und unter herabstürzenden Trümmern begraben.
     
    Rösen wollte gerade zum Hörer greifen, um sich noch einmal auf dem Revier zu erkundigen, als die Tür aufging und Daut das Büro betrat.
    »Wie siehst du denn aus, Axel?«
    Daut ließ sich schwer atmend auf einen Schreibtischstuhl fallen. Seine Uniform war dreckig, am Mantel fehlten zwei Knöpfe, der Spiegel des Tschakos war abgerissen, vom Handschuh über seiner Prothese, sonst immer penibel ordentlich und sauber, gar nicht zu reden.
    Am meisten erschreckte Rösen der körperliche Zustand seines Kollegen. Daut blickte aus leeren Augen starr vor sich hin. Die Lippen waren rissig und aufgesprungen, eine Augenbraue sah aus, als wäre

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