Der Aufbewarier (German Edition)
Flammen stand. Der Himmel im Norden war hell erleuchtet. Berlin brannte. Es dauerte einige Sekunden, bis die Panik nachließ. Er durfte nicht darüber nachdenken, was im Zentrum passierte, sondern musste sich darauf konzentrieren, das Feuer vor ihm zu löschen.
»Decken! Bringt mir Decken!«
Balz und die anderen liefen ins Haus, und eine Minute später reichten sie Daut Löschdecken aufs Dach. Er kroch so nah wie möglich an den Brandherd. Zum Glück hatte sich das Feuer noch nicht weit ausgebreitet, wenn er schnell genug war, konnte er es unter Kontrolle bringen. Er arbeitete konzentriert und hätte fast das Brummen überhört. Balz brüllte:
»Sie kommen zurück!«
Daut blickte zum Himmel. Zwei, nein, drei Bomber näherten sich von Westen. Er schlug wie wahnsinnig auf die Glut ein. Um ihn herum Stille, unvermittelt von einem Geräusch durchschnitten, leise zuerst, aber schnell lauter werdend. Daut erkannte das todbringende Heulen einer ausgeklinkten Bombe. Er schaute nach unten. Alle rannten ins Haus. Zarah schrie: »In den Keller. Alle. Schnell!«
Daut wusste, dass es für ihn zu spät war. Er presste seinen Körper aufs Dach und krallte die Finger der rechten Hand unter eine Dachpfanne. Er hob leicht den Kopf und blickte in den Himmel. Es sah aus, als würde der Bomber mit den Flügeln wackeln wie zu einem makabren Gruß. Daut verlor den Halt und rutschte das Dach herunter. Gleißendes Licht umgab ihn, ehe die Explosion sein Trommelfell zerriss.
Dienstag, 2. März 1943
Fünfundzwanzig
»Trinken wir auf das Glück des kühnen Recken.«
Wie durch Watte hörte Daut die unverkennbare, rauchige Stimme. Hoffentlich waren seine Trommelfelle nicht geplatzt. Direkt nach dem Fliegerangriff war er völlig taub in den Keller gewankt. Er sah Carlas zu einem entsetzten Schrei geöffneten Mund, hörte aber nichts. Jetzt, fast zwei Stunden später, drangen die Geräusche gedämpft zu ihm, als wollte ihn jemand vor dem Krach der Welt beschützen. Er hatte das schon einmal erlebt, 1918. Als er damals nach Tagen wieder erwachte, fehlte ihm die Hand. Diesmal war er heil geblieben. Fast jedenfalls. Er verzog das Gesicht vor Schmerz, als Carla sein aufgeschlagenes Knie mit Jod betupfte. Was für eine entwürdigende Situation. Er saß in einem Sessel, der Anzug durchnässt und verschmutzt, das rechte Hosenbein bis zum Oberschenkel hochgezogen. Vor ihm kniete eine aufregend attraktive, junge Frau und verarztete ihn. Direkt neben ihm, keine dreißig Zentimeter entfernt, saß in einem mit beigem Samt bezogenen Sessel die größte Diva der Zeit, einen champagnerfarbenen Morgenmantel über dem Dekolletee nur nachlässig geschlossen. In einem eigenwilligen Kontrast zu diesem legeren Erscheinungsbild standen die eleganten und vermutlich sündhaft teuren, hochhackigen Schuhe. Zarah hatte die langen Beine entspannt übereinandergeschlagen, womit sich Daut ein Blick auf ihre Oberschenkel bot, von dem alle männlichen Kinogänger träumten. Sie sah ihn mit ihren großen Augen an und nippte von Zeit zu Zeit an einem Glas mit Kümmelschnaps. Auch wenn ihre Stimme Daut nur gedämpft erreichte, hatte er das Gefühl, als richte sich jede Zelle seines Körpers auf sie aus.
»Sie sind ein Held! Und Helden wie Sie werden gebraucht.«
Daut räusperte sich, denn er hatte lange geschwiegen und wollte auf keinen Fall, dass seine Stimme schwach klang.
»Das hätte jeder getan, und im Übrigen hat es nichts genützt. Der Dachstuhl ist hin.«
Zarah ließ sich Zeit mit der Antwort.
»Was macht das schon. Das Haus ist nur gemietet, und in ein paar Tagen reise ich nach Schweden. Endgültig.«
Sie beugte sich nach rechts zu einem Tischchen, nahm zwei Zigaretten aus einem silbernen Etui, entzündete sie und reichte eine davon Daut, der sich kaum traute, sie zwischen die Lippen zu stecken.
»Ich kann gehen, meine Rolle in diesem Land ist zu Ende. Aber Sie, Axel, Sie werden hier noch gebraucht. Von dieser so famosen jungen Frau zum Beispiel und ihrem Mann. Helfen Sie Ihnen, Axel. Wenn Sie etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen. Mehr kann ich nicht mehr tun.«
Daut wollte protestieren, wollte sagen, wie sehr die Menschen ihrer Lieder bedurften in dieser finsteren Zeit, was sie ihm ganz persönlich bedeuteten, aber Zarah legte ihm einen Finger auf die Lippen.
»Pssst.«
Langsam zog sie ihn weg und hinterließ eine brennende Spur auf seinem Mund.
Sie rief den Chauffeur, lehnte sich in den Sessel zurück und schloss die Augen.
Die
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