Der Aufbewarier (German Edition)
sie versenkt.
»Hast du was zu trinken?«, fragte Daut mit ausdrucksloser Stimme.
Rösen ging zum Waschbecken neben der Tür und füllte ein Wasserglas. Daut trank es in einem Zug und hielt ihm dann das leere Glas erneut hin.
»Und jetzt noch etwas für die Nerven.«
Rösen zog ein Schreibtischfach auf und nahm die für Notfälle wie diesen dort deponierte Flasche Cognac aus dem beschlagnahmten Bestand von Tüten-August heraus. Er füllte das Glas bis zur Hälfte, und wieder stürzte Daut es in einem Zug herunter. Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.
»Bei dir zu Hause alles in Ordnung?«
Rösen nickte und gab sich einen Ruck. Jetzt war nicht die Zeit, Trübsal zu blasen, sie hatten einen Fall zu klären.
»Hier allerdings geht alles drunter und drüber. Dieser Quint ist bis jetzt nicht aufgetaucht. Wir sollten schleunigst zu ihm fahren.«
Daut schaute Rösen an, als verstünde er nicht, wovon der Kollege sprach. Er beugte den Kopf nach vorne und schaukelte ihn schweigend von links nach rechts und zurück. Ohne in dieser verstörenden Bewegung innezuhalten, sagte er:
»Das ist nicht dein Ernst, oder? Weißt du eigentlich, was da draußen passiert ist? Bist du heute schon sehenden Auges durch die Stadt gefahren? Es gibt Stadtviertel, da steht kein Stein mehr auf dem anderen, und unter den Trümmern liegen die Toten. Zweihundert? Dreihundert? Niemand weiß es. Es kann sein, dass wir nie erfahren werden, wie viele Menschen in diesem Massengrab, das sich Reichshauptstadt nennt, begraben sind. In der letzten Nacht wurde Berlin endgültig eine der Hauptdarstellerinnen in der großen Tragödie. Und du hast keine anderen Sorgen, als den Mörder einer einzigen Frau zu suchen, einer Jüdin zudem. Als ob das heute irgendjemanden interessiert.«
Als hätten die Worte alle Kraft gekostet, stoppte Daut das Kopfschütteln, streckte die Beine von sich und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Rösen stand von seinem Stuhl auf und ging im Büro auf und ab.
» Mich interessiert das, Axel, und du solltest es auch zu deiner Sache machen. Wenn selbst wir jedem Unrecht in dieser Stadt freien Lauf lassen, wer soll dann noch für das kleine bisschen Schutz sorgen, auf das die Menschen ein Anrecht haben und das nur wir ihnen garantieren können? Das ist unser Beruf, Axel. Deiner und meiner! Die Trümmer zu beseitigen und die Toten zu bestatten, ist die Aufgabe anderer. Wir haben uns darauf zu konzentrieren, den Mörder einer Frau zu finden. Dass die Ermordete eine Jüdin ist, interessiert mich nicht, aber zu deiner Beruhigung: ich habe einen Bericht an die Geheimen geschickt. Und wenn dieser Parteigenosse Quint nicht in der nächsten halben Stunde hier aufläuft, werden wir beide zu ihm fahren.«
Rösen wollte sich gerade wieder setzen, als es an der Tür klopfte. Noch bevor er »Herein« sagen konnte, wurde sie geöffnet, und Quint betrat den Raum. Als er Daut in seinem derangierten Zustand erblickte, blieb er an der Tür stehen.
»Komme ich ungelegen? Dann gehe ich gerne wieder.«
Rösen zeigte auf den freien Stuhl vor dem Schreibtisch.
»Wir haben schon auf Sie gewartet. Angesichts der Ereignisse der letzten Nacht will ich von einer Ordnungsstrafe wegen Ihrer Verspätung absehen.«
Er nahm einige Blätter Papier aus einer Schublade und begann, Quints Personalien zu notieren. Daut hatte sich derweil aufrecht hingesetzt und hielt immer noch das leere Glas in der Hand.
Als die Formalien erledigt waren, kam Rösen zur Sache und fragte Quint, was er über Martha Grahn wisse.
»Da gibt es nicht viel zu sagen. Sie war eine fleißige Frau, wie fast alle Juden, die bei uns arbeiten. Viele sind es ja nicht mehr, aber die sind anstellig. Sie haben halt Angst, dass sie auch weggebracht werden. Und was dort im Osten mit ihnen passiert ...« Er zuckte ganz leicht mit den Schultern.
»Was wissen Sie über das Privatleben von Martha Grahn?«
»So gut wie nichts. Sie hatte wohl eine Tochter, den Namen habe ich vergessen. Ich glaube, das Mädchen lebte nicht bei ihr. In letzter Zeit hatte ich das Gefühl, dass die Grahn Angst hatte. Sie war vor der Deportation ja nur durch ihren arischen Mann geschützt, und in der Ehe schien es zu kriseln.«
Daut mischte sich so unvermittelt in die Befragung ein, dass Quint erschrak und ruckartig den Kopf nach hinten drehte.
»Aha, das haben Sie also gemerkt, obwohl Sie sonst keinerlei Kontakt zu ihr hatten und privat nichts von ihr wussten.«
»So etwas merkt man doch - so als
Weitere Kostenlose Bücher