Der Aufbewarier (German Edition)
Mann.«
Quint zwinkerte Daut zu, der auf diesen Versuch einer Männerkumpanei zornig reagierte.
»So, so, als Mann! Sie hat Ihnen also gefallen, die Frau Grahn? So eine alleinstehende Frau, und dann auch noch mit einem Kind. Die braucht halt Schutz, nicht wahr? Und Sie hatte ja auch einiges zu bieten, so rein körperlich, meine ich. Da vergisst man schon mal, dass sie Jüdin ist.«
Quint sprang auf und schob dabei den Stuhl einen Meter nach hinten.
»Das muss ich mir von einem Wachtmeister nicht bieten lassen.«
Er schnaubte verächtlich und stützte sich mit beiden Händen auf die Schreibtischplatte.
»Herr Kommissar, weisen Sie den Mann zurecht. Ich bin ein ehrbarer Bürger, Mitglied der Partei und tue zudem als Zellenleiter meine Pflicht. Der Gauleiter Dr. Goebbels hat mich erst kürzlich persönlich belobigt.«
Rösen lächelt Quint an.
»Das müssen Sie verstehen, der Wachtmeister hat eine schlimme Nacht hinter sich und außerdem seit Tagen nicht richtig geschlafen. Setzen Sie sich wieder hin.«
Rösen wartete, bis Quint den Stuhl herangezogen und Platz genommen hatte, ehe er die Befragung fortsetzte.
»Ich verstehe Sie also richtig: Sie hatten keinerlei privaten Kontakt zur Grahn, haben Sie nie in ihrer Wohnung besucht, haben sie nie eingeladen und sind auch nicht mit ihr ausgegangen?«
Quint sprang schon wieder auf, sein Kopf lief puterrot an.
»Jetzt fangen Sie auch noch an! Wollen Sie mir eine Rassenschande unterstellen? Ich muss mir das auch von Ihnen nicht bieten lassen.«
Er stand auf, deutete eine leichte Verbeugung in Rösens Richtung an, bedachte Daut mit einem bösen Blick und verließ den Raum.
Rösen atmete tief durch.
»Den haben wir ganz schön aufgescheucht.«
Daut stand auf und nahm die Türklinke in die Hand.
»Hoffentlich hilft es was, der Typ gefällt mir nämlich ganz und gar nicht.«
Er öffnete die Tür und sagte im Hinausgehen:
»Ich brauch jetzt erst mal Wasser und Seife.«
Siebenundzwanzig
Charlotte weinte hemmungslos. Otto Weidt stand hilflos daneben und versuchte seit zehn Minuten erfolglos, sie zu beruhigen.
»Wir werden für Kurt alles Erdenkliche tun. Du wirst sehen, dass am Ende alles gut ausgeht. Carla ist ja auch noch da.«
»Was soll das heißen, es wird gut ausgehen. Sie haben ihn verhaftet und eingesperrt. Sie werden ihn aus Berlin fortschaffen, und ihr wisst genauso gut wie ich, was das heißt.«
Charlotte hatte die Worte von Schluchzern unterbrochen mehr ausgespuckt als gesprochen. Jetzt richtete sie sich auf, holte tief Luft, als müsse sie eine letzte Anstrengung hinter sich bringen, und schrie in Carlas Richtung:
»Bei einem Juden heißt das: sie töten ihn.«
Carla, die bisher ruhig auf dem Bett in Charlottes Versteck gesessen hatte, sprang auf. In ihrem Kopf tobten die Gedanken. Am besten wäre es, sie würde Charlotte so antworten, wie sie es in den letzten Jahren in solchen Fällen immer getan hatte. Es wäre so einfach zu sagen: Wie kommst du nur darauf. Ja, sie schaffen die Juden in den Osten, weil dort Arbeitskräfte fehlen und viel freies Land ist.
Vielleicht würde es Charlotte wenigstens für den Moment beruhigen, aber sie konnte es nicht. Sie glaubte nicht mehr daran. Es war ein Ammenmärchen. Radio London hatte vor Kurzem mehrmals berichtet, was tatsächlich passierte. Sie hatten von den Transporten gesprochen, bei denen Tausende starben, ehe sie überhaupt die Lager erreichten. Von Hunger und Seuchen war die Rede gewesen, von Massenerschießungen. Und dann fiel dieses Wort, das ihr seitdem nicht mehr aus dem Sinn ging. Dieser Begriff, den sie als Kind gehört hatte, als die Oma den Kammerjäger holen musste, weil sich Ungeziefer - waren es Läuse oder Wanzen, sie wusste es nicht mehr - in ihrem Schlafzimmer festgesetzt hatte. Ein junger Mann - Carla erinnerte sich an ihr Erstaunen, als sie ihn sah, denn einen Kammerjäger hatte sie sich alt und hässlich vorgestellt - installierte in allen Zimmern der Wohnung silberne Blechbüchsen. Die Großmutter musste für einen Tag und eine Nacht bei ihrer Tochter, Carlas Mutter, unterkommen. Oma brachte sie an diesem Abend zu Bett, und Carla erzählte ihr, wie sehr sie sich vor den Wanzen - oder waren es Läuse - ekelte. Die Oma streichelte ihr übers Haar.
»Das brauchst du jetzt nicht mehr. Diese hässlichen Tiere werden vergast, und schon morgen sind sie alle tot.«
Jetzt waren die Juden das Ungeziefer. Schädlinge waren sie, ihr Mann Kurt, ihre Schwägerin Charlotte.
Weidt sah
Weitere Kostenlose Bücher