Der Aufbewarier (German Edition)
kleine Körper in der Uniform von Luftwaffenhelfern. Daut wandte entsetzt den Blick ab.
»Mein Gott, dass sind ja noch Kinder.«
Selbst Teske, der in seiner Berufslaufbahn schon in viele menschliche Abgründe geblickt hatte, konnte ein Zittern in der Stimme nicht verhindern.
»Die fünf Schüler hat es am Krummen Venn in Zehlendorf erwischt. Ihre Flakstellung wurde völlig zerstört.«
»Ein Wahnsinn«, flüsterte Rösen. Gerade waren die Jungs des Jahrgangs 1927 als Luftwaffenhelfer eingezogen worden. Sie ersetzten reguläre Truppen, die in den Osten verlegt wurden.
Teske hatte sich wieder im Griff.
»Tja, meine Herren, ab sofort liegt die Luftverteidigung der Reichshauptstadt in den Händen von Kindern.«
Daut umklammerte seine Holzhand und schaute starr nach links. Im nächsten Jahr war sein Sohn Walter an der Reihe. Man konnte nur hoffen, dass der Wahnsinn bis dahin zu Ende war.
Rösen spürte, wie sehr die toten Kinder Daut mitnahmen, und beschleunigte seine Schritte.
»Herr Doktor, könnten wir dann ...«
Der Rechtsmediziner schien sich erst jetzt an den Grund des Besuchs der Polizisten zu erinnern.
»Ach ja, der Kopf. Ich weiß zwar nicht, was daran noch wichtig sein soll, aber gut. Er war in einem Kartoffelsack verstaut, den ein polnischer Fremdarbeiter aus der Charlottenburger Schleuse gezogen hat. Der Gute hatte auf ein feines Essen gehofft und stattdessen einen gehörigen Schreck bekommen. Zumindest hat er so laut gebrüllt, dass einer Ihrer Kollegen« - Teske nickte Daut zu - »angerannt kam.«
Die Polizisten beobachteten konsterniert, dass der Doktor orientierungslos durch den Saal lief. Er trat an einen Tisch, hob das Tuch an, schaute auf den Leichnam und schüttelte den Kopf. Das Gleiche wiederholte sich an der nächsten Bahre. So ging es drei, vier Mal, eher er die richtige Trage gefunden hatte. Er riss mit einem Ruck das Tuch zurück, und Daut muss sich wegdrehen.
»Vermutlich in eine Schiffsschraube gekommen«, sagte Teske. »Für eine Identifizierung ist er nicht mehr geeignet, aber wir haben so weit wir konnten Untersuchungen vorgenommen. Er kann zu dem gefundenen Torso gehören, die Blutgruppe ist zumindest identisch. Im Übrigen haben wir den Körper jetzt vollständig beisammen.«
»Beim letzten Mal fehlte doch noch der linke Arm«, sagte Rösen erstaunt.
Teske deckte den Kopf wieder ab.
»Ach ja, stimmt, das hätte ich beinahe vergessen. Den Arm fand ein Mann heute Morgen unter den Trümmern eines Hauses in der Uhlandstraße, als er nach seiner vermissten Tochter suchte. Er lag in einem Pappkarton - Persil glaube ich. Sonst noch was? Wenn nicht, sollte ich anfangen, das Chaos hier zu ordnen.«
Rösen reichte Teske die Hand.
»Vielen Dank, Doktor. Wir brauchen dann noch Ihren Bericht.«
»Eilt aber nicht«, ergänzte Daut, und Rösen nickte.
Teske war sichtlich irritiert, dass der Uniformierte das Sagen hatte, winkte aber nur ab und widmete sich seiner Arbeit.
Als sie auf den Wagen zugingen, schlug Rösen vor, noch ins OSRAM-Werk zu fahren und Quints Kollegen noch einmal zu befragen. Daut schüttelte den Kopf.
»Das musst du dann alleine machen, Ernst. Ich kann nicht mehr. Wenn ich jetzt nicht wenigstens ein paar Stunden schlafe, kippe ich dir hier auf der Straße um.«
»Hast recht, Axel, das war genug für heute. Genau genommen war es viel zu viel für einen Tag.«
Neunundzwanzig
Daut schaute auf seine Armbanduhr. Es war bereits halb elf - und bisher war alles ruhig geblieben. Kein Alarm! Mit jeder Minute stieg die Chance, dass die Tommies Berlin in dieser Nacht verschonen würden. Er war gleich nach seiner Rückkehr vom Leichenschauhaus ins Bett gegangen, das hieß, er hatte fünf Stunden geschlafen. Er fühlte sich erstaunlich ausgeruht und hungrig. In der Küche mussten noch zwei Eier sein. Mit einer Scheibe Speck und einem Kanten Brot wäre das genau das Richtige. Er schlich im Schlafanzug am Wohnzimmer vorbei. Die Engelmann schien Radio zu hören. Der Ton war zu leise, als dass Daut etwas verstehen konnte. Vielleicht hörte sie Radio London. Er bereitete sich sorgfältig das Essen zu. Als er mit dem Teller in der Hand und auf Zehenspitzen zurück zu seinem Zimmer ging, fiel mit Getöse die Gabel auf den Boden.
»Axel, sind Sie das?«
Die Tür öffnete sich, und Bertha Engelmann steckte den Kopf in den Flur.
»Guten Abend, Frau Engelmann. Entschuldigen Sie die Störung. Ich habe mir nur etwas zu essen gemacht.«
»Kommen Sie rein, das müssen Sie
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