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Der aufrechte Soldat

Der aufrechte Soldat

Titel: Der aufrechte Soldat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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Sonnenkopfschutz trugen, wurden wir von Massen von Indern umringt. Unteroffiziere brüllten und schlugen auf sie ein, während wir uns zu Zügen formierten und unseren ersten Schweiß auf Indiens Erde vergossen.
    Nach einer Stunde des Wartens in der Sonne wurden wir im Marschtritt durch die Stadt zum Bahnhof geführt, begleitet von den Klängen der Regimentskapelle, die aus voller Brust aufspielte.
    »Augen geradeaus, ihr schlaffen Säcke! Zeigt diesen verdammten Reisfressern, daß sie jetzt die Mendips im Lande haben!«
    Es war der absolute Wahnsinn, die Augen geradeaus zu halten! Wir befanden uns auf einem fremden Planeten, und sie wollten nicht, daß wir uns das ansahen! Es war nur ein weiteres Beispiel für den militärischen Irrsinn.
    Von dem pompösen viktorianischen Zentrum Bombays strahlten endlose enge Straßen aus – winkelige Gassen, voll von Geschäftigkeit, Tieren, erstaunlichen Fahrzeugen und Menschen, obgleich wir instruiert worden waren, diese nicht als Menschen zu betrachten, sondern nur als Reisfresser.
    Wenn ich in friedlicheren Zeiten je an Indien gedacht hatte, dann war es für mich stets ein Ort gewesen, wo es den Leuten schlecht ging und wo sie verhungerten; doch hier herrschte ein Leben, wie England es sich nicht vorstellen konnte, laut, ungezügelt, voll von Farben und Gerüchen, mit Menschen, die vorwiegend lachten und ihre Rede mit heftigen Gesten unterstrichen.
    Da wir von dieser Kultur nichts wußten und eigentlich auch nichts für sie übrig hatten, betrachteten wir das alles als barbarisch. Dschungelschrille Musik drang aus vielen der barackengleichen kleinen Läden. Überall waren Gujerati-Schilder zu sehen. Verschlungene Strom- und Telefonleitungen überspannten jede Straße. Halbnackte Bettler paradierten auf jedem Bürgersteig auf und ab. Alles war von Hitze eingehüllt.
    Obgleich ich mich nicht mehr an die Einzelheiten dieses dramatischen Marsches zum Bahnhof erinnere, ist mir mein allgemeiner Eindruck jedoch noch im Bewußtsein. Dieser Eindruck von Lärm, Licht und Düften war grandios, wurde jedoch in seiner Bedeutung ins zweite Glied verbannt; nach der entbehrungsreichen Zeit auf dem Schiff hielten wir zuallererst und vordringlich Ausschau nach Frauen. Und da waren auch die Frauen, eingehüllt in Saris, Kleidungsstücke, die uns nicht nur häßlich erschienen, sondern formverhüllend. Einige Frauen schritten mit Körben voller Kuhdung auf dem Kopf umher, traten dabei auf wie Königinnen, während andere Brillanten in ihren Nasenflügeln oder auf die Stirn aufgemalte Kastenzeichen hatten. Barbarisch! Und das Ganze vor einem Hintergrund ebenfalls barbarischer Unordnung!
    Menschen wuschen ihre Wäsche und spuckten an jeder Straßenecke, und bucklige Kühe durften gehen, wohin und wo sie wollten, sogar in Gebäude hinein!
    Auf dem Bahnsteig wurden wir von dieser bunten Flut geradezu aufgesogen. In dem Chaos, in dem sich das Einsteigen in den Zug abspielte, wimmelten Lastenträger zwischen uns herum, schnappten sich unsere Seesäcke und das übrige Gepäck, so daß sie anschließend gewalti ge Gebühren für ihre Mithilfe fordern konnten. Ihre nackte Aufdringlichkeit, ihr Kampf um Leben und Arbeit waren Faktoren, die wir früher niemals kennengelernt hatten. Und das Verwirrendste an den braunen Gesichtern war, daß sie den englischen Gesichtern so ähnlich waren! Es war die Verzweiflung in ihnen, nicht die Farbe, die sie so fremdartig erscheinen ließ.
    Diese Entdeckung verfolgte mich während meiner Zeit in Indien. In China oder in Afrika wird man von solchen Überlegungen niemals heimgesucht; dort haben die Menschen die Güte, ihre Fremdartigkeit durch jede Falte ihrer Nase, Lippen und Augen deutlich zu machen. Nehmen wir aber nur diesen gekrümmt gehenden und verhungert aussehenden Träger mit meinem Koffer auf dem Kopf – er sieht auf verblüffende Weise einem der Angestellten in Vaters Bank ähnlich! Dieser Bursche mit den schiefen Zähnen und dem spaßigen weißen Anzug, der herumdiskutiert in einer Sprache, die an Gezwitscher erinnert – man stecke ihn nur in einen anständigen Nadelstreifenanzug, und schon würde er als englischer Immobilienmakler durchgehen! Oder dieser kahle Bursche mit den von Pockennarben übersäten Wangen, der versuchte, einem eine überreife Melone zu verhökern – war irgendein Corporal von uns nicht sein verblüffendes Ebenbild?
    Ich erholte mich niemals völlig von dem Schock der Erkenntnis, daß die Engländer nichts anderes als farblose und

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