Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der aufrechte Soldat

Der aufrechte Soldat

Titel: Der aufrechte Soldat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
Vom Netzwerk:
hatte wieder zugeschlagen! Alles okay, was für ein Glück. Nun brauchte ich nur noch ihren Tränen zu entgehen.
    »Teufel auch, es ist schon spät! Ich stehe lieber sofort auf!« »Unsinn, Liebling, du hast genügend Zeit. Dein Vater ist gerade erst aus dem Badezimmer gekommen, und es ist draußen ziemlich kalt – man könnte meinen, der Herbst sei schon angebrochen. War unsere liebe alte Tante Mole gestern abend nicht lustig? Bestimmt hatte sie zu viel getrunken! Es war eine schöne Party, nicht wahr? Ich nehme an, du hast keine Ahnung, wohin deine Einheit in Übersee verlegt wird, oder?«
    »Ich hab’s dir doch schon erklärt, niemand weiß so etwas. Sergeant Meadows meinte, es könnte Burma sein.«
    »O mein Gott, hoffentlich nicht Burma! Es ist ein furchtbares Land. Nennen sie es nicht auch das Grab des Weißen Mannes oder so ähnlich? Glaubt dein netter Captain Gore-Blakeley, daß du nach Burma gehst?« Sie ließ sich auf meiner Bettkante nieder, griff geistesabwesend nach meinem Morgenmantel und spielte damit nervös herum. »Ich bin dir immer eine schlechte Mutter gewesen, Horry, mein Liebster.«
    »Du weißt, daß das nicht stimmt.« Aber meine Antwort klang genauso hohl wie ihre Feststellung. Sie und Vater hatten mir nie ganz verziehen, daß ich von zu Hause weggelaufen war, um in London zu leben, genauso wie ich meinem Vater nie verziehen hatte, daß er nie hingefahren war, um mich zu suchen. All das lag schon vier Jahre zurück, aber gerade bei Familienangelegenheiten bleibt die Erinnerung immer besonders frisch.
    »Ich schreibe dir, Horry. Ich hoffe, du antwortest mir auch. Ich weiß, daß du nicht mehr mein kleiner Junge bist, aber so sehe ich dich eben immer noch, und so bewahre ich dich in meinem närrischen alten Herzen.« Vielleicht war das ihre Art, sich bei mir dafür zu entschuldigen, daß sie mich und Sylvia gestört hatte. Sie ergriff meine Hand und sagte: »Denk manchmal an deine arme, dich über alles liebende Mutter. Sie wird nicht ewig auf dieser Welt sein, weißt du, und eines Tages bist auch du alt und klapprig.«
    »Jetzt fängst du schon wieder damit an! Du sagst das immer! Dabei bist du in bester Form!«
    Und schon kamen ihr wieder die Tränen. »Ich bin nicht … mir geht es überhaupt nicht gut, wirklich – aber das geht niemand etwas an!« Ich hatte eine Vorahnung, daß sie sterben würde, während ich in Übersee war; vielleicht war es auch nur mein Schuldgefühl, das diese Vorstellung in mir weckte. Sie war erschreckend mager – »das reinste Nervenbündel«, wie sie sich nannte. Ann erzählte mir, daß sie mittlerweile recht häufig verschwand und ihre langen spontanen Spaziergänge unternahm. Vielleicht wurde sie eines Tages von einem der amerikanischen Armeetransporter, die durch die Landschaft donnerten, mitgerissen und getötet.
    Wir hatten dies unseren Eltern angetan. In gewisser Weise hatten wir sie verraten. Wir bedrängten sie, indem wir aufwuchsen, groß und stark wurden, während sie von Jahr zu Jahr immer mehr zusammenschrumpften, eine immer kleinere, unbedeutendere Rolle spielten und sich mit ihren alten Kleidern und Fensterdekorationen zufrieden geben mußten. Ann sprach davon, sich beim Frauenhilfsdienst zu melden – als letztes der Küken dem Nest der Stubbs’ nicht ohne erleichterte Freudenrufe zu entfliehen.
    Das Beste, was man in dieser Situation tun konnte, war, sich überhaupt nicht dazu zu äußern. Tränen liefen über Mutters Wangen. Je heftiger sie versuchte, sie zurückzuhalten, desto reichlicher flossen sie. Ich legte einen Arm um ihre mageren Schultern, und die Tränen kamen noch schneller. Sie erschauerte und stieß schluchzend hervor, was für eine schlechte Mutter sie gewesen sei. Trotz meiner gemurmelten Proteste war ich geneigt, ihr recht zu geben – in jenen unschuldigen Tagen erkannte ich einfach nicht, wie selten erfolgreiche Eltern überhaupt sind.
    »Es wird dir schon gut gehen, Mama! Papa ist ja noch da und kümmert sich um dich, und dann sind da auch noch all eure Freunde …«
    »Ich habe keine Freunde! Nur euch drei …«
    »Nun, Kopf hoch, wir werden die Italiener schnellstens schlagen, und die ganze Affäre ist schon in Kürze beendet.«
    »Ich hab’ ja solche Angst, daß du verwundet wirst!« Sie sprang auf und rannte aus dem Zimmer, als wollte sie ihre Sorge und Trauer irgendwo anders abladen. Ich versetzte meinem verdammten Kleidersack einen schnellen Tritt, als ich das Badezimmer aufsuchte.
    In ähnlicher Weise, wenn auch

Weitere Kostenlose Bücher