Der aufrechte Soldat
unseren Peitschen angesammelt hatte. Während dieser Unterhaltung breitete sich Dunkelheit über Indien aus.
Wir wußten wenig von dem, was vor uns lag, und interessierten uns auch wenig dafür. Irgendwo in der Zukunft wartete mit hoher Wahrscheinlichkeit der Einsatz gegen die in Burma eindringenden Japaner, aber zuerst waren für uns sechs Wochen Akklimatisierung an einem sagenumwobenen Ort namens Kanchapur vorgesehen. Im Augenblick waren wir nach Kanchapur unterwegs; der Ort lag jenseits unseres Gesichtskreises in der fortschreitenden Nacht.
Unser Gespräch artete schließlich zu Klagen darüber aus, daß wir Hunger hatten. Das Wichtigste war immer noch, woher wir unsere nächste Mahlzeit bekämen. Wir saßen schweigend im Korridor und im Abteil, so entspannt und bequem wie möglich. Einer oder zwei von uns rauchten noch immer völlig mechanisch. Warmer Wind wehte durch die offenen Fenster herein und streichelte die kurzen Haare in meinem Nacken. Charley Meadows und Sergeant Gowland von der B-Kompanie wanderten langsam durch den Zug und achteten darauf, daß jeder seine Hemdsärmel zum Schutz gegen Moskitostiche heruntergekrempelt hatte. Die Feldwebel erinnerten uns daran, daß wir Dosen mit einem scharf riechenden Fett hatten, das auf Gesicht und Hände aufgetragen werden mußte, um die Moskitos fernzuhalten. Trotzdem summten die Insekten uns um die Ohren; manche von uns begannen sich matt ins Gesicht zu schlagen. Wir erwogen die Möglichkeit, an Malaria zu sterben.
»Es gibt mehr als eine Art Malaria, und die meisten sind tödlich«, sagte Bamber. »Sogar Dartmoor hat eine ganz spezielle Art, an der man sterben kann.«
»Millionen von Reisfressern sterben jedes Jahr an Malaria – das hat mir jedenfalls ein Typ auf dem Schiff erzählt«, berichtete Wally.
»Alles Quatsch, Mann, diese Reisfresser sind dagegen immun«, widersprach Geordie.
»Nein, sie klappen täglich zu Hunderten zusammen. Das hat dieser Kerl mir erzählt.«
»Malaria ist für die Reisfresser nicht schlimmer als ei ne Erkältung, oder etwa nicht, Bamber?«
»Sie können dich oder mich damit anstecken«, sagte Bamber grimmig.
Die Diskussion verlor sich im Geratter unserer weiteren Fahrt. Wir saßen auf unseren Seesäcken und dösten.
Gelegentlich starrte ich an meinem Spiegelbild vorbei in die Nacht, in der schon mal die eine oder andere Lampe vorbeijagte. Selbst diese unregelmäßig aufblinkenden Lichtpunkte erschienen wie ein erregendes Geheimnis. Und was die Gerüche des Windes anging – sie konnte ich nicht genau analysieren, aber ich habe sie seitdem auch nicht vergessen.
Während wir nach Indore hineinfuhren, wo wir für den weiteren Weg nach Kanchapur aussteigen mußten, füllte der Zug sich von einem Ende zum andern mit dem Geschrei von Unteroffiziersstimmen, die fluchten, schimpften, Witze rissen, während wir unsere Uniformen ordneten, unsere Siebensachen zusammensuchten, die Gewehre umhängten, die Seesäcke hochhievten, vielleicht die letz te Zigarette rauchten – und dann aufstanden und schwankten und auf den rissigen Beton eines Bahnsteigs hinunterkletterten.
Die Beleuchtung war spärlich. Auf allen Bahnsteigen wimmelte es von Menschen. Lebten sie dort, oder unternahmen sie nur mitternächtliche Reisen? Köpfe, rasiert oder mit bunten Turbanen verhüllt, umringten uns, während ihre Eigentümer aufgeregt vorwärtsdrängten. Jenseits der Köpfe gewannen wir den flüchtigen Eindruck einer großen, belebten Stadt, die sich bemerkbar machte durch das Rattern von Straßenbahnen, das Hupen eines hektischen Verkehrs und durch Ausblicke auf Straßen, halbverfallene Hausfassaden und armselige Hütten, die sich in der Nacht verloren. Genau der richtige Ort für ein paar antibritische Demonstrationen! Bei uns hingegen schoben sich von allen Seiten Gepäckträger heran und schrien uns ihre seltsame Abart des Englischen entgegen. Wir brüllten zurück, und die Unteroffiziere brüllten uns an.
»Formiert euch! Na los doch, bewegt euch! Marsch! Steckt euer verdammtes Strickzeug weg und schwingt die Keulen! Haltet eure Gewehre fest und schafft euer Zeug so schnell wie möglich aus dem Zug!«
Hinter den Unteroffizieren erkannten wir die Gestalten unserer Offiziere, unter ihnen auch Zugführer Gor-Blimey, massig und wie gewöhnlich völlig gleichgültig gegen das, was um ihn herum geschah.
Wir formierten uns. Wir wurden wieder zu einer Einheit. Eine Reihe von Zügen stellte sich auf dem Bahnsteig auf. Die Träger verschwanden. Wir
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