Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt
heimgekehrten Bruder und eine Besucherin ihres eigenen Geschlechts und ungefähren Alters um so größer sein, und wenn sie obendrein noch erführe, daß ihr Herzenswunsch ohne weitere Verzögerung Erfüllung finden sollte, keine Grenzen finden. Dennoch war ihre Abwesenheit eine Enttäuschung, und daß er es unterlassen hatte, eine Bemerkung darüber zu machen oder sich zu entschuldigen, verwirrte Emma.
Sie begann den Raum zu erkunden, an allem interessiert. Das Stadthaus, in dem sie aufgewachsen war, nahm sich im Vergleich gemütlich und bequem aus, wenn auch nicht weniger dunkel und eingeschlossen, zwar nicht von Bäumen, sondern von den anstoßenden Nachbarhäusern. Sie war sich bewußt, daß sie ein Leben in vergleichsweise beneidenswertem Wohlstand geführt hatte, einem Wohlstand jedoch, der sich auf eine bequeme und gut ausgestattete Wohnung konzentrierte, während dieser Landsitz im Grenzgebiet nur vielleicht ein Zehntel dessen darstellte, was Ivo besaß, ohne Berücksichtigung der zu all diesen Herrensitzen gehörenden Ländereien. Er hatte selbst gesagt, daß dies nicht das schönste und angenehmste seiner Häuser war, doch herrschte es über viele Meilen Land, deren Zahl sie nur erraten konnte, ebenso wie jene der leibeigenen Bauern und unfreien Hintersassen. Es war eine andere Welt. Sie hatte diese Welt aus der Ferne gesehen und war von ihrem Glanz geblendet, aber niemals bis zur Blindheit.
Sie spürte eine plötzliche Überzeugung, daß dies alles nicht für sie bestimmt war, doch ob sie über die Erkenntnis froh oder traurig war, blieb ein Geheimnis. Vielleicht entsprang diese starke Empfindung der Erkenntnis, daß es hier Wissen und Geschmack gab, die jenseits ihrer Erfahrung lagen. Das Kohlenbecken war ein Glanzstück handwerklicher Meisterschaft und gereichte dem Schmied, der es gemacht hatte, zu höchster Ehre. Auf drei durch ornamental geschweifte Klammern verbundenen Beinen ruhte die Glutschale in der Gestalt eines mit Weinlaub bewachsenen Spaliers. Wenn es einen Fehler hatte, dann war es der, daß es etwas zu hoch war, um einen völlig sicheren Stand zu haben. Die Polster der Stühle zeigten Jagdszenen in feiner Stickerei, waren jedoch stellenweise abgenutzt durch häufigen Gebrauch und Reibung und die Berührung mit fettigen Fingern. Auf einem Regal, das unter dem Tisch angebracht war, lagen Bücher, ein Psalter, einige Pergamente mit Musik und eine alte Abhandlung, deren Blätter seltsame Zeichnungen und Diagramme enthielten.
Die Schnitzarbeit der Stühle, des Tisches, und der Bankenden war der Pflanzenwelt nachempfunden. Die Wandbehänge, die alle Wände zwischen den Fenstern und der Tür bedeckten, waren ohne Zweifel alt, kostbar, wundervoll gearbeitet und mußten sich einmal durch prachtvolle Farben, die da und dort in geschützten Falten frisch geblieben waren, ausgezeichnet haben. Aber größtenteils waren sie beinahe bis zur Unkenntlichkeit vom Rauch geschwärzt und da und dort brüchig wie Zunder. Sie strich mit der Hand eine Falte glatt, und der Jagdhund, der mit schnappenden Kiefern und gestreckten Pfoten zwischen ihren Fingern dahinsprang, zerbröckelte in staubige Fasern, die langsam zu Boden sanken. Sie trat bestürzt zurück. Das Gewebe hatte sich unter ihrer Hand wie Asche angefühlt.
Sie wartete, aber niemand kam. Wahrscheinlich war die Wartezeit nicht so lange wie sie vermutete, jedenfalls nicht so lang, wie es ihr vorkam. Aber sie schien sich wie eine Ewigkeit hinzuziehen, ein Jahr ihres Lebens.
Schließlich dachte sie, daß es niemanden kränken konnte, wenn sie die Galerie entlang und in die Kapelle gehen würde. Dann würde sie wenigstens hören, wenn es unten irgendwelche Aktivitäten gäbe.
Ivo hatte flämische Wandteppiche für seinen neuen Herrensitz in Cheshire gekauft, und da war es gut möglich, daß er die Ballen, in denen sie verpackt waren, öffnen ließ, um sich des Anblicks ihrer frischen Farben zu erfreuen. Unter solchen Umständen konnte sie ein gewisses Maß an Vernachlässigung vergeben.
Sie drückte auf die Klinke, aber die Tür gab nicht nach. Sie versuchte es nochmals, mit verstärktem Druck, aber die eichene Tür blieb unbeweglich. Kein Zweifel, die Tür war zugesperrt oder von außen verriegelt.
Zuerst war sie ungläubig, sogar erheitert, als ob irgendein alberner Zufall einen Riegel fallen lassen und sie irrtümlich eingeschlossen hätte. Darauf folgte das instinktive Verlangen jeder eingesperrten Kreatur, hinauszukommen - und erst danach kam das
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