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Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt

Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt

Titel: Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Erschrecken, flammte Zorn auf, leitete der Wunsch zu verstehen eine Neueinschätzung der Lage ein. Es war kein Irrtum, nein! Ivos eigene Hand hatte den Schlüssel im Schloß gedreht.
    Sie war nicht das Mädchen, das in Raserei verfallen wäre und mit den Fäusten gegen die Tür getrommelt hätte. Was würde das nützen?
    Emma stand ganz still da, die Klinke in der Hand, während ihr Verstand der Wahrheit auf die Spur zu kommen suchte wie der Jagdhund auf dem Wandteppich dem Hasen. Sie war hier in einem Zimmer im Obergeschoß, das keine andere Tür hatte, und die Fenster waren nicht nur zu schmal, als daß selbst ihr schlanker Körper sich hätte durchzwängen können, sondern hoch über dem Erdboden. Es gab keinen Weg hinaus, bis jemand die Tür aufsperrte.
    Sie war arglos und gutgläubig mit ihm gekommen, und er hatte sich zu ihrem Kerkermeister gewandelt. Was wollte er von ihr? Sie wußte um ihre Schönheit, spürte jedoch mit instinktiver Sicherheit, daß er deswegen nicht soviel Mühe auf sich genommen hätte. Es war also nicht ihre Person, und in ihrem Besitz befand sich nur ein Ding, für das jemand bereit gewesen war, das Äußerste zu tun. Todesfälle waren ihm gefolgt, wohin es gebracht worden war. An einem dieser gewaltsamen Todesfälle war ein Diener von ihm beteiligt gewesen, und Ivo selbst hatte summarisch Justiz an ihm geübt. Ein niederträchtiger, gewinnsüchtiger Raubüberfall, ein Diebstahl, der zufällig zum Mord geführt hatte, und das gestohlene Eigentum war zum Beweis gefunden worden! Sie hatte das wie jeder andere akzeptiert. Daran zu zweifeln, wäre gleichbedeutend mit dem Blick in einen Abgrund schwärzester Verworfenheit gewesen, den niemand einem anderen Menschen zutrauen würde. Jetzt aber blickte sie in diese Finsternis. Es war Ivo gewesen, und kein anderer, der sie eingesperrt hatte.
    Wenn sie nicht durch die Fenster hinausklettern konnte - der Brief, den sie bei sich trug, ging leicht hindurch, wenngleich mit dem Risiko, daß andere ihn finden würden. Sein Gewicht war leicht, dennoch würde er beim Herabsinken nicht weit von der Wand fortgetragen werden. Trotz dieser Überlegung ging sie von einem Fenster zum anderen und spähte durch die Schlitze hinaus auf das Gras des Berghanges und die Bäume ringsum. Und dort, behaglich am Stamm einer Buche sitzend, die Beine im Gras von sich gestreckt und die Armbrust neben sich, blickte Turstan Fowler müßig zu eben diesen Fenstern herauf. Als er ihr Gesicht zwischen den hölzernen Rahmen sah, grinste er breit. Von ihm war keine Hilfe zu erwarten.
    Zitternd wich sie vom Fenster zurück. Dann zog sie die kleine, fest gewickelte Pergamentrolle aus ihrem Verwahrungsort zwischen den Brüsten, wo sie sich befand seit Meister Thomas sie ihr vor der Ankunft in Shrewsbury um den Hals gehängt hatte. Sie maß beinahe die Länge ihrer Hand, war aber dünn wie zwei Finger, und der Faden, an dem sie hing, bestand aus feiner Seide. Diese Rolle benötigte kein sehr großes Versteck. Emma wickelte den Seidenfaden darum und versteckte sie in der aufgesteckten Haarmenge ihrer blauschwarzen Zöpfe, knüpfte das seidene Netzgewebe der Haube wieder darüber und vergewisserte sich, daß die Rolle vollständig eingehüllt und unsichtbar war. Nachdem sie die Haube gerichtet hatte und das Haar wie zuvor geordnet war, stand sie mit ineinandergelegten Händen, um ihr Zittern zu beruhigen, und atmete tief durch, bis ihr Herzklopfen nachließ. Dann nahm sie so Aufstellung, daß das Kohlenbecken zwischen ihr und der Tür lag, blickte wieder auf und fühlte, wie ihr Herz sich schmerzhaft zusammenzog.
    Wieder war ihr die Umdrehung des Schlüssels im Schloß entgangen. Er hielt seine Sicherheitsvorkehrungen gut geölt und leichtgängig. Nun stand er selbstbewußt lächelnd in der Türöffnung, trat ein und schloß die Tür hinter sich, ohne den Blick von ihr zu wenden. Sie erkannte an der Bewegung seines Armes und der Schulter, daß er den Schlüssel abgezogen hatte und nun von innen wieder zusperrte. Nicht einmal in seinem eigenen Haus, umgeben von seinem Gesinde, ging er ein Risiko ein. Selbst wenn er es mit einer schwachen Frau zu tun hatte! Es war in einer Weise eine Kompliment, aber eines, auf das sie gern verzichtet hätte.
    Da er nicht wissen konnte, ob sie versucht hatte, die Tür zu öffnen, benahm sie sich so, als wäre nichts geschehen, was sie hätte beunruhigen können. Sie begrüßte sein Eintreten mit einem erwartungsvollen Lächeln und öffnete den Mund, um

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