Der Aufstand Auf Dem Jahrmarkt
Informationen in die Hände bekommen können, die für Maud von großem Wert wären, und wenn sie in seiner Einschätzung den Kampf um den Thron gewinnen und ihn gut belohnen könnte, so würde er genauso unbekümmert Stephen und alle seine Anhänger verraten haben.
Zum ersten Mal war sie entsetzt. Das Gewicht all dieser gefährdeten Menschenleben lag wie ein gewaltiger Stein auf ihrem Herzen. Sie zweifelte nicht daran, daß seine Einschätzung vom Inhalt des Briefes der Wahrheit sehr nahe kommen mußte, nahe genug, um viele Männer zu vernichten, die derselben Seite anhingen, der ihr Onkel mit Hingabe gedient hatte. Er war ein leidenschaftlicher Parteigänger gewesen, und ihn hatte es das Leben gekostet. Wenn sie jetzt nicht ein Wunder zustandebringen konnte, würde die Nachricht, die sie bei sich trug, noch viele Menschenleben, Blutvergießen, schmerzliche Verluste und Zerstörungen kosten. Und alles zu Ivo Corbieres Bereicherung und Machtvorteil! Sie war Meister Thomas aus Familienloyalität gefolgt und hatte ihn unterstützt. Nun bedeutete dies nichts mehr, aber sie verspürte ein verzweifeltes Verlangen, weiteres Morden zu vermeiden, niemanden, auf keiner Seite der streitenden Parteien, seinen Feinden auf der anderen Seite zu verraten. Jedem Flüchtling zu helfen, jeden Verfolgten zu verbergen, den Frauen die Männer und den Kindern die Väter zu erhalten, war bei weitem besser, als entweder für Stephen oder für Maud zu kämpfen und zu töten.
Sie war entschlossen, ihm den Brief nicht zu überlassen. Was es auch kosten mochte, er sollte nicht unversehrt über Leichen seinen Weg zu seiner Grafschaft gehen.
»Ich habe nichts gegen dich«, sagte Corbiere. Er war ruhig und entspannt. »Gib mir den Brief, und du sollst Bristol sicher erreichen und nicht die Verliererin sein. Aber glaube nicht, daß ich Skrupel hätte, es dir in aller Härte heimzuzahlen, wenn du mir entgegenarbeitest.«
Sie stand unbewegt und still, die Hände von beiden Seiten mit erhobenen Ellbogen an ihren Kopf gedrückt, als versuchte sie dadurch ihre Angst zu beherrschen. Ihre Fingerspitzen arbeiteten ungesehen unter dem Rand des Netzgewebes ihrer Kappe in die zusammengerollten Zöpfe und fühlten nach der kleinen Pergamentrolle, aber von Angesicht zu Angesicht mit ihr sah er keine Bewegung.
»Komm, du bist nicht so anziehend für mich, daß du befürchten müßtest, ich würde dir Gewalt antun«, sagte er mit einem geringschätzigen Lächeln. »Solltest du dich hingegen widerspenstig zeigen, würde es mich nicht hart ankommen, dich eigenhändig zu entkleiden. Es könnte mir sogar Vergnügen bereiten, vorausgesetzt, die Beschäftigung erweist sich als anregend. Gib den Brief heraus oder nimm in Kauf, daß er dir gewaltsam abgenommen wird. Du solltest mittlerweile wissen, daß ich niemanden dulde, der sich mir in den Weg stellt, keinen Mann und noch viel weniger eine Krämerstochter ohne Bedeutung.«
Ohne Bedeutung! Nein, sie war für ihn niemals von irgendeiner Bedeutung gewesen, nicht einen Augenblick lang, nur ein nützliches Werkzeug in der rücksichtslosen Verfolgung seiner eigenen ehrgeizigen Pläne. Noch immer stand sie wie erstarrt, außer daß sie, als er wieder näher kam, das Lächeln jetzt wölfisch und hungrig, sich Zoll für Zoll seitwärts bewegte, um das Kohlenbecken zwischen sich selbst und ihn zu bringen. Sie stand nahe davor, als könnte ihr nur diese rote Glut Schutz und Trost geben. Und plötzlich riß sie die zusammengesteckten Zöpfe herunter, krallte die Pergamentrolle heraus und riß das seidene Netz in ihrer Hast mit los. Sie wagte nicht, die Rolle einfach in die Glut zu werfen, sie könnte herausrollen oder mit einem geschickten Griff geborgen werden. In einem verzweifelten Ausfall stieß sie die Rolle tief ins Herz der Glut, hielt sie dort einen qualvollen Augenblick lang fest und zog die verbrannten Finger mit einem leisen Aufschrei, in dem sich Schmerz und Triumph mischten, rasch zurück.
Genauso schnell sprang er hinzu, die Rolle wieder herauszuziehen, aber die dünne seidene Haube hatte sofort Feuer gefangen, und ihre kleinen gelben Flammen leckten seine Hand. Und alles, was er von dem kostbaren Brief berührte, ehe er zurückzuckte, war das Wachs des Siegels, das sogleich geschmolzen war und brennend an seinen Fingern haftete, als er sie mit einem Schmerzenslaut und einer Grimasse zurückzog. Sie hörte sich lachen, und konnte nicht glauben, daß sie die Quelle des Geräusches war. Sie hörte seine
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