Der Auftrag
Empfindungen kämpften in seiner Brust, er konnte sie nicht länger beherrschen. Am liebsten hätte er sich schreiend auf dem Boden gewälzt. Aber er wollte mehr wissen. »Was hat er ausgesagt? Was wollte er in Margan? Wurde die Kette gefunden?«
»Ja, Erhabener. Bei einem zwielichtigen Händler namens Orchan. Der Gefangene hatte sie ihm angeboten. Behauptet hatte er allerdings, sie einem Mondpriester geschenkt zu haben, der ihm auf dem Wege begegnet war, aber Nachforschungen auf dem Gemüsemarkt haben sofort ergeben, dass der Betreffende in Orchans Haus eingetreten ist. Der erhabene Sagischvar, sein Name sei gepriesen, hat angeordnet, die Kette bei einer zeremoniellen Waschung zu reinigen.«
Jaryn nickte. Noch viele Fragen lagen ihm auf der Zunge, aber jetzt musste er allein sein. »Danke Saric, du kannst gehen.«
Saric verneigte sich und verließ auf dem üblichen Wege das Zimmer.
Wieder allein, stützte Jaryn den Kopf in die Hände und bemühte sich, des Aufruhrs seiner Gefühle wieder Herr zu werden. Was ist nur los mit mir? , fragte er sich. Warum lehne ich mich nicht zufrieden zurück, froh, dass dieses Untier gefangen wurde, und widme mich weiterhin meiner Aufgabe?
Ohne dass er es verhindern konnte, liefen die Geschehnisse bei den Felsen in den Rabenhügeln wie ein immer wiederkehrender Albtraum vor seinem inneren Auge ab. Er hatte geglaubt, die Sache überwunden zu haben, doch jetzt peinigte sie ihn erneut mit tausend Nadelstichen. Er durchlebte die Schändung wie gegenwärtig, aber vieles war verwischt, kehrte in verkehrten Bildern zu ihm zurück. Schande, Entehrung, Erniedrigung, wohin waren diese Begriffe entflohen? Weshalb pochte stattdessen sein Herz so unruhig wie ein gefangener Vogel? Weshalb wurde Achay immer mächtiger in ihm, spürte er dessen pulsierende Begierde und sah dabei das Gesicht Rastafans vor sich? Rastafan! Wie ein Glockenschlag dröhnte der Name in seinen Ohren. So ein Mann sollte keinen Namen haben. Keinen, an den man sich erinnerte. Er war eine Made, ein Abfallhaufen, er war ein – oh siebenfacher Himmel! – er war ein mitreißend attraktiver Mann, stark, gewalttätig und umgeben von einer geheimnisvollen Aura, die Jaryn nicht einmal bei seinen Mitbrüdern im Sonnentempel je wahrgenommen hatte. Verzweifelt bemühte er sich, an seine Brutalität zu denken, als er ihm den Rock vom Leib gefetzt hatte, an sein erbarmungsloses Lächeln, seine wilden Stöße, die so geschmerzt hatten. Ja, rücksichtslos war er gewesen und grausam. Weshalb aber erinnerte er sich vor allem an seine dunklen Augen, in denen das Feuer der Wollust aufgeflammt war und noch etwas anderes, etwas unsagbar Fremdes, das sie beide für die Dauer eines Atemzuges der Welt entrückt hatte.
Gedankenlos schob er die Bücher von sich weg und erhob sich mit friedlosem Herzen. Auf und ab schritt er, weitab der Tür, vergeblich, wo doch jeder Schritt ihn hinauszog zu ihm. Ja, er musste ihn noch einmal sehen, bevor sie ihn … Er verscheuchte diesen entsetzlichen Gedanken und öffnete beherzt die Tür. Ich werde ihm ins Gesicht sehen, ins Gesicht spucken, ihn erniedrigen und ihn leiden lassen, so werde ich mich von ihm befreien! Gerüstet mit dieser Selbsttäuschung, vermochte er es, den Tempel zu verlassen und den Jammerturm aufzusuchen.
Kalte, klamme Feuchtigkeit schlug ihm entgegen, als er durch die Tür schritt, die ihm ein bulliger Mann beflissen weit aufgerissen hatte. Seine Schweinsäuglein, gewöhnlich abgestumpft stierend, blitzten in heller Aufregung über den hohen Besucher. Jaryn musste an sich halten, denn der Mann stank nach frischem Blut und altem Schweiß. Ein Wärter? Ein Henker? Ein Folterknecht? Mit solchen Kreaturen hatte er sich noch nie befasst, er wusste nicht einmal, dass sie existierten. Jaryn raffte sein goldfarbenes Gewand, als seine Sandalen über schleimige Fliesen glitten. Er konnte kaum atmen in dieser abgestandenen Luft, die nach lehmiger Erde und Schimmel roch. Worauf hatte er sich hier eingelassen? Was suchte er hier in diesem Schattenreich der Verzweiflung?
Der schwitzende Mann mit Blut an seiner Kleidung lief ihm mit einer blakenden Laterne voran, die nur flackernde Lichtfetzen erzeugte. Seine massige Gestalt bewegte sich wie ein tappender Bär. Jaryn schnürte der Gedanke die Kehle zu, dass der Mann, zu dem er unterwegs war, hier irgendwo angekettet seinem Schicksal entgegensah. Warum ist das so? , fragte er sich. Was empfinde ich für ihn?
Schändliche Wollust , raunte eine
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