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Der Auftrag

Der Auftrag

Titel: Der Auftrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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Stadttor führte. Er hielt den Blick zu Boden gesenkt und beschleunigte seine Schritte. Die Stadt kam ihm vor wie ein vielarmiges Ungeheuer, das ihn umschlang und ihm den Atem abdrückte.
    Welcher Wolfsrachen die Männer ausgespuckt hatte, die ihm plötzlich den Weg versperrten, das mochte der rotäugige Totenvogel wissen! Acht oder zehn Lanzen waren auf ihn gerichtet. Keine Fluchtmöglichkeit. Da sie ihn offensichtlich bedrohten, hatten sie seine Verkleidung wohl durchschaut. Was habe ich falsch gemacht? , fuhr es ihm durch den Kopf. Oder hat mich die fette Ratte Orchan verraten?
    Er hob friedlich die Arme. »Was wollt ihr von mir? Ich bin ein Unberührbarer.«
    Zwei der Männer, die allesamt das Wappen Jawendors, eine goldene Sonne und einen schwarzen Mond, auf ihren dunkelblauen Uniformen trugen, traten vor, zwangen ihm die Arme auf den Rücken und rissen ihm die Kapuze vom Kopf, wo zwar ein Zopf zum Vorschein kam, aber nicht der kunstvoll geflochtene Zopf eines Sonnenpriesters, sondern langes, krauses Haar, zusammengebunden von einem Lederriemen.
    »Wer bist du?«, schnauzte ihn jemand an, der genauso groß und breit war wie Rastafan, aber dessen Gesicht Narben und hässliche Bartstoppeln zierten.
    »Das werde ich dir nicht auf die Nase binden, Narbengesicht!«
    Der Mann, der einen beißenden Geruch nach Schweiß und Leder ausströmte, lächelte niederträchtig. »Ich bin Borrak, der Hauptmann der Eisernen Garde. Und ich bin berühmt dafür, Leute wie dich gesprächig zu machen. So gesprächig, dass sie am Ende gar nicht mehr aufhören können zu plappern.«
    »Ich verstehe.« Rastafan schätzte die Männer rasch mit den Blicken ab. Lauter harte Kerle, schwer bewaffnet, da war nichts zu machen. »Nun gut, aber du musst mir sagen, wie du mich durchschaut hast.«
    Das selbstgefällige Grinsen des Hauptmanns hätte ihm Rastafan gern aus dem Gesicht gewischt, aber er saß in der Falle wie ein Fuchs in der Schlinge. Würde er in dieser Stadt elend krepieren wie sein Vater? Er hatte im Kampf fallen wollen, nicht auf diese Weise, und dass es Margan war, das ihn überlistet hatte, folterte ihn bis ins Mark.
    »Schlau eingefädelt war deine Verkleidung schon, das muss ich anerkennen, aber du hast einen Fehler gemacht.« Er grinste und sah sich zu seinen Leuten um, die zurückgrinsten. »Nein – es war kein Fehler im eigentlichen Sinne«, fuhr er genüsslich schnurrend fort, »eher ein Unglück oder so etwas Ähnliches. Das, was die Götter über einen beschließen.«
    »Ein Verhängnis willst du sagen«, bemerkte Rastafan verächtlich.
    »Kluger Kopf. Genau das meinte ich. Heute ist nämlich der erste Tag des Fruchtmondes.«
    »Na und?«
    »Da tragen alle Sonnenpriester goldfarbene Gewänder. Hm, das scheinst du nicht gewusst zu haben, wie?« Er gluckste vergnügt in sich hinein. »Niemals würde einer von ihnen das vergessen.« Er zupfte an dem seidenen Tuch. »Passt dir auch gar nicht, viel zu eng für deinen muskulösen Körper. Nun, wir haben es immer gern, wenn so wohlgebaute Recken wie du die Bekanntschaft mit dem hölzernen Lustbengel machen. Wie lange wirst du es wohl aushalten?« Der Hauptmann legte einen Finger an die Nase, als denke er darüber nach. »Vier Tage? Fünf Tage? Ich hoffe, dass es länger dauert.«
    Rastafan schwieg dazu. Nun rissen die Männer ihm den roten Rock vom Leib, bis er völlig nackt war, und trieben ihn so durch die Straßen zurück zum Königsplatz, in dessen Mitte der Jammerturm stand: ein grauer Steinklotz, bis auf wenige vergitterte Fenster ohne frische Luft und Licht. Hier landeten alle Übeltäter, und von hier traten sie ihre Strafen an. Die Straße bis zum Stadttor wurde deswegen auch Straße der Schmerzen genannt. Auch jetzt versammelten sich in Windeseile Hunderte von Menschen am Straßenrand und jubelten der Eisernen Garde zu. Es würde wieder eine Hinrichtung geben. Und diesmal war es ein besonders schöner und kräftiger Mann. Der würde vor allem der Damenwelt einen Augenschmaus bereiten.
    Rastafan erwiderte den schrecklichen Frohsinn zu beiden Seiten mit einem breiten Grinsen und huldvollem Nicken. Der Rotäugige sollte ihn holen, wenn er sich irgendeine Schwäche anmerken ließ. Er machte, wenn er an Frauen vorüberkam, sogar ein paar unzüchtige Bewegungen mit dem Unterleib, worauf diese rot anliefen und kicherten. So einen Gefangenen hatten sie noch nicht erlebt. Einige begannen sogar, mitleidsvoll miteinander zu flüstern. »Zu schade für den Pfahl«, hörte

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