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Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Titel: Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Mikroskope, Elek-tronenmikroskope, Synchrotrone, Satelliten, Raumsonden, 12

    Computer, immer neue Beobachtungen entlocke man der Natur, von Quasaren, Milliarden Lichtjahre entfernt bis zu Billionstelmillimeter kleinen Partikeln, bis zur Erkenntnis, die elektromagnetischen Strahlen seien verstrahlte Masse und die Masse gefrorene elektromagnetische Strahlung, noch nie hätte der Mensch soviel von der Natur beobachtet, sie stehe gleichsam nackt vor ihm, jeder Geheimnisse bar, und werde ausge-nutzt, mit ihren Ressourcen Schindluder getrieben, daher scheine es ihm, D., bisweilen, die Natur beobachte nun ihrerseits den sie beobachtenden Menschen und werde aggressiv, bei der verschmutzten Luft, dem verseuchten Boden, dem verunreinigten Grundwasser, den sterbenden Wäldern handle es sich um einen Streik, um eine bewußte Weigerung, die Schadstoffe unschädlich zu machen, die neuen Viren, die Erdbeben, Dürren, Überschwemmungen, Hurrikane, Vulkan-ausbrüche usw. dagegen seien gezielte Abwehrmaßnahmen der beobachteten Natur gegen den, der sie beobachte, so wie sein Spiegelteleskop und die Steine, die gegen sein Haus geworfen würden, Gegenmaßnahmen gegen das Beobachtet-Werden seien, desgleichen was sich zwischen von Lambert und dessen Frau abgespielt habe, um auf die zurückzukommen, auch dort sei Beobachten ein Objektivieren und so habe denn jeder den anderen ins Unerträgliche objektiviert, er habe sie zu einem psychiatrischen Objekt, sie ihn zu einem Haßobjekt gemacht, worauf, aus dem plötzlichen Erkennen heraus, daß nämlich sie, die Beobachtende, vom Beobachteten beobachtet werde, sie sich spontan den roten Mantel über ihren Jeansanzug geworfen und den Teufelskreis von Beobachten und Beobachtet-Werden verlassen habe und in den Tod gelaufen sei, aber, fügte er hinzu, nachdem er plötzlich in ein Gelächter ausgebrochen war, wieder ernst geworden, was er da entwickelt habe, sei natürlich nur die eine Möglichkeit, die andere bestehe im puren Gegenteil dessen, was er ausgeführt habe, ein logischer Schluß hänge 13

    von der Ausgangssituation ab, wenn er in seinem Hause in den Bergen immer seltener beobachtet würde, so selten, daß, richte er sein Spiegelteleskop gegen solche, von denen er annehme, sie würden ihn vom Felsen aus beobachten, diese mit ihren Ferngläsern nicht ihn, sondern irgend etwas anderes beobachten würden, kletternde Gemsen oder kraxelnde Bergsteiger, dieses Unbeobachtet-Sein würde ihn mit der Zeit mehr quälen als das Beobachtet-Sein vorher, er würde die Steine gegen sein Haus geradezu herbeisehnen, nicht mehr beobachtet, käme er sich nicht beachtenswert, nicht beachtenswert nicht geachtet, nicht geachtet bedeutungslos, bedeutungslos sinnlos vor, er würde, stelle er sich vor, in eine hoffnungslose Depression geraten, ja, würde wohl seine ohnehin erfolglose akademische Laufbahn gar als etwas Sinnloses aufgeben, die Menschen, würde er dann zwangsläufig folgern, litten unter dem Unbeobachtet-Sein wie er, auch sie kämen sich unbeobachtet sinnlos vor, darum beobachteten alle einander, knipsten und filmten einander aus Angst vor der Sinnlosigkeit ihres Daseins angesichts eines auseinanderstiebenden Universums mit seinen Milliarden Milchstraßen, wie der unsrigen, besiedelt mit Abermilliarden durch die ungeheuren Distanzen hoffnungslos isolierten belebten Planeten, wie dem unsrigen, eines Alls unaufhörlich durchzuckt von explodierenden und dann in sich zusammensackenden Sonnen, wer anders sollte den Menschen da noch beobachten um ihm einen Sinn zu verleihen als dieser sich selber, sei doch gegenüber einem solchen Monstrum von Weltall ein persönlicher Gott nicht mehr möglich, ein Gott als Weltregent und als Vater, der einen jeden beobachte, der die Haare eines jeden zähle, Gott sei tot, weil er undenkbar geworden sei, ein im Verstande gänzlich wurzelloses Glaubensaxi-om, nur noch ein unpersönlicher Gott sei als ein abstraktes Prinzip denkbar, als ein philosophisch-literarisches Gedanken-gebäude, um in das monströse Ganze doch noch einen Sinn 14

    hineinzuzaubern, vage und Verblasen, Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut, eingefangen in den Kachelofen des menschlichen Herzens, aber auch der Verstand sei unfähig, sich noch einen Sinn außerhalb des Menschen vorzuschwindeln, denn alles Denk- und Machbare, Logik, Metaphysik, Mathematik, Naturgesetze, Kunstwerke, Musik, Dichtung, bekomme nur Sinn durch den Menschen, ohne den Menschen sinke es ins

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