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Der Auftraggeber

Der Auftraggeber

Titel: Der Auftraggeber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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in die Seine ein und verschwand unter der Oberfläche. Als sie den Mund öffnete, füllte ihre Lunge sich mit eisigem Wasser. Sie konnte ihr eigenes Blut schmecken. Sie sah einen grellweißen Lichtblitz, hörte ihre Mutter ihren Namen rufen. Danach gab es nur noch Dunkelheit. Ein endlos weites, stilles Dunkel. Und die Kälte.

3 Tiberias, Israe l
    Trotz dieser Ereignisse in Paris hätte es dem Fremden vielleicht gelingen können, im selbstgewählten Exil zu bleiben, wäre der legendäre Mossadchef Ari Schamron nicht reaktiviert worden. Schamron brauchte in dieser Nacht nicht geweckt zu werden, denn er fand schon seit langem keinen Schlaf mehr. Tatsächlich geisterte er nachts so häufig herum, daß Rami, der junge Kommandant seiner Leibwache, ihm den Spitznamen ›Das Phantom von Tiberias‹ gegeben hatte. Anfangs vermutete Schamron, daran sei das Alter schuld. Er war vor kurzem 65 geworden und hatte zum erstenmal über die Möglichkeit nachgedacht, er könnte eines Tages wirklich sterben. Bei der jährlichen Vorsorgeuntersuchung hatte sein Arzt die Kühnheit besessen vorzuschlagen - »Und das ist nur ein Vorschlag, Ari, denn ich würde weiß Gott nie versuchen, Ihnen Vorschriften zu machen« -, Schamron solle seinen täglichen Koffein- und Tabakkonsum verringern: zwölf Tassen schwarzen Kaffee und 60 starke türkische Zigaretten. Schamron hatte diesen Vorschlag leicht belustigend gefunden.
    Erst während einer untypischen Periode der Selbstbeobachtung, die durch seinen erzwungenen Rückzug aus dem Dienst ausgelöst worden war, hatte Schamron die Ursachen seiner chronischen Schlaflosigkeit ergründet. Er hatte so oft gelogen, so oft getäuscht und betrogen, daß er manchmal Fakten nicht mehr von Fiktion, Wahrheit nicht mehr von Unwahrheit unterscheiden konnte. Und dazu kamen die Morde. Er hatte mit eigenen Händen gemordet, und er hatte anderen Männern, jüngeren Männern, Mordaufträge erteilt. Ein Leben voller Verrat und Gewalt hatte seinen Tribut gefordert. Manche Männer drehen durch; andere brennen aus. Ari Schamron war dazu verurteilt, für immer wach zu bleiben.
    Schamron hatte einen unbehaglichen Frieden mit seinem Gebrechen geschlossen, wie manche Leute sich mit Geisteskrankheit oder einem tödlichen Leiden abfinden. Er war zu einem Nachtwanderer geworden, der durch seine sandsteinfarbene Villa über dem See Genezareth geisterte oder in klaren, lauen Nächten auf seiner Terrasse saß und über den See und das im Mondschein liegende Obergaliläa starrte. Manchmal zog er sich auch in sein Arbeitszimmer zurück, um seiner großen Leidenschaft zu frönen und alte Radios zu reparieren - die einzige Tätigkeit, die ihn hundertprozentig von Gedanken an den Dienst ablenken konnte.
    Und manchmal schlenderte er zum Wachlokal hinunter und verbrachte ein paar Stunden damit, mit Rami und den anderen Jungs in der Hütte zu sitzen und bei Kaffee und Zigaretten Geschichten zu erzählen. Die Schilderung von der Gefangennahme Eichmanns gefiel Rami am besten. Wurde ein neuer Mann zu seinem Kommando versetzt, drängte er Schamron jedesmal, die Geschichte zu wiederholen, damit der Neue begriff, daß ihm ein großes Privileg gewährt worden war: das Privileg, Schamron -den Sabre-Supermann, Israels Racheengel - zu beschützen.
    Heute nacht hatte Rami ihn wieder dazu gebracht, die Geschichte zu erzählen. Wie üblich hatte sie viele Erinnerungen geweckt, von denen manche weniger angenehm waren. Schamron hatte gerade keine alten Radios, mit denen er sich hätte ablenken können, und da es zu kalt und regnerisch war, um draußen zu sitzen, lag er mit offenen Augen im Bett, analysierte neue Unternehmen, erinnerte sich an vergangene, spürte die Schwachstellen von Gegnern auf und plante ihre Vernichtung. Und als das Spezialtelefon auf seinem Nachttisch zweimal schrill klingelte, griff Schamron mit der erleichterten Miene eines alten Mannes, der für Gesellschaft dankbar ist, nach dem Hörer und zog ihn langsam an sein Ohr.
    Rami trat aus dem Wachlokal und beobachtete, wie der Alte die Einfahrt heruntertrabte. Er war kahl und dick, trug eine Nickelbrille. Sein Gesicht war trocken und zerklüftet - wie die Negevwüste, sagte Rami sich. Wie üblich trug er eine Khakihose und seine uralte Bomberjacke mit dem Riß auf der rechten Brustseite dicht unter der Achsel. Im Dienst gab es zwei Theorien über diesen Riß. Manche glaubten, die Jacke sei in den fünfziger Jahren bei einem Vergeltungsangriff in Jordanien von einem Geschoß

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