Der Augensammler
nur eine Minute zögern und über die Einhaltung von Vorschriften nachdenken, wenn sein Bauchgefühl ihm etwas anderes sagte. »Ein letztes Mal. Wo hält Alexander Zorbach sich versteckt?«, fragte Stoya.
»Selbst wenn Sie jetzt wie Ihr Kollege einen Bleistift rausholen ...« Frank zuckte mit den Achseln. »Ich kann's Ihnen nicht sagen.«
»Wirklich nicht?«, fragte Stoya. »Und hierzu?« Er öffnete einen braunen Pappordner und entnahm ihm mehrere Großaufnahmen, die er vor Frank auf dem Tisch ausbreitete. »Hierzu können Sie uns wohl auch nichts sagen?« Der junge Mann schloss die Augen.
»Katharina Vanghal, Krankenschwester, siebenundfünfzig Jahre alt und Witwe«, kommentierte Stoya die Tatortfotos, die direkt aus dem Schlachthof der Hölle zu stammen schienen. »Nachbarn schildern sie als extrem zurückgezogen. Keine Freunde, keine Männer, nicht mal Haustiere. Wenn man von ihrem allseits bekannten Weihnachtsfimmel mal absieht, das gesamte Haus in eine Flutlichtanlage zu verwandeln, dann lebte sie bislang ein völlig unauffälliges, langweiliges Leben.«
Er machte eine kurze Pause. »Bis der Augensammler sich dazu entschloss, ihren Keller in einen Vakuumsarg zu verwandeln und sie die letzten Tage ihres Lebens dort zu foltern.«
»Grauenhaft.« Frank wandte sich ab. »Ja, das ist es allerdings. Grauenhaft. Der Wahnsinnige hat ihren kompletten Körper in Plastikfolie eingewickelt. Wegen des Drucks des Verbandes und weil sie sich nicht rühren konnte, ist sie darunter buchstäblich bei lebendigem Leib verwest. Damit sie nicht zu früh stirbt, hat der Augensammler sie sediert, auf eine Kühlmatratze gelegt und mit Hilfe künstlicher Beatmung in der Dauerschwebe zwischen Leben und Tod gehalten. Offensichtlich ist der Augensammler nicht nur medizinisch bewandert, sondern auch Hobbytechniker, immerhin fanden wir einen Stromgenerator im Garten, extra nur für den Folterkeller installiert.«
Stoya hielt zwei Finger hoch und formte unbeabsichtigt das Victory-Zeichen. »Ein Generator für zwei Pumpen, mit denen er die Luft aus dem Keller saugen konnte!« »Sie wissen, dass Zorbach zwei linke Hände hat«, entgegnete Frank. Er sah müde aus, und seine Lippen waren rissig. Stoya beschloss, ihn noch etwas unter Druck zu setzen, bevor er ihm ein Glas Wasser anbot. »Aber er hat ein Motiv.« »Bitte?«
Stoya nickte beiläufig, als habe er eine Bemerkung über das Wetter gemacht. »Katharina Vanghal arbeitete bis vor zwei Jahren im Park-Sanatorium, also dort, wo heute Zorbachs Mutter liegt. Sie war dort Krankenschwester, bis man ihr fristlos kündigte. In ihrer Akte steht, mehrere ihrer Patienten hätten an Dekubitus IV gelitten. Einem Wundgeschwür, das bis auf die Knochen reicht, weil ihre bettlägerigen Patienten nicht oft genug bewegt worden waren.« »Das glauben Sie doch selbst nicht«, lachte Frank tonlos. »Mein Boss rächt sich an der Exkrankenschwester seiner Mutter?«
»Nein. Ehrlich gesagt will ich das nicht glauben. Aber warum finden wir seine Fingerabdrücke überall in diesem Keller, wenn er mit der Sache nichts zu tun hat?«
Der Volontär legte seufzend den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. »Himmel, wie oft denn noch. Es war die Blinde. Sie hat ihn dorthin geführt.« »Scheiße.«
Stoya hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich hab die Schnauze voll von diesem esoterischen Blödsinn. Ich will jetzt endlich wissen, was .« »Entschuldigung?«
Der Chefermittler fuhr herum. Er hatte so laut gebrüllt, dass er das Klopfen der uniformierten Polizistin nicht bemerkt hatte. »Was?«
Sie reichte ihm eine Akte. »Was ist das?«
»Der Strafzettel, den wir überprüfen sollten.« »Und?«
Die Oberlippe der schüchternen Blondine zitterte vor Nervosität, doch ihre Stimme klang fest. »Er gehört zu einem grünen VW Passat, Baujahr 97.« Dann nannte sie ihm den Halter.
Stoyas Ohren begannen zu dröhnen, und sein Mund wurde trocken. Jetzt war er es, der dringend etwas zu trinken benötigte. »Wiederholen Sie das noch einmal.« »Er ist zugelassen auf eine Katharina Vanghal.« Das kann nicht sein.
Stoya sah zu Frank herüber, der in diesem Moment ebenso fassungslos wirkte wie er. Das ist unmöglich.
Der Wagen der gefolterten Krankenschwester hatte gestern Nachmittag tatsächlich auf dem Behindertenparkplatz gestanden, so wie Zorbach es die ganze Zeit über behauptet hatte.
»Sehen Sie!«, sagte Frank triumphierend, als die Polizistin die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Der
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