Der Babylon Code
sozusagen als Beweis angeführt wird?« Chris dachte an das, was Ramona Söllner über die Bibelschlachten in der wilhelminischen Zeit berichtet hatte. »Man hat schon viele Textstellen und Bilder der Bibel auf sumerischen Tontafeln gefunden. Aber den Dekalog in seinen Grundzügen auf sumerischen Schrifttafeln – das ist dann doch noch ein ganz anderer Beweis. Sie befürchten, dass erneut ein Sturm über die Kirche fegen könnte wie vor hundert Jahren?«
»Dummes Gerede«, murmelte der Papst, der sich abgedreht hatte und nach Osten starrte. »Alles längst ausgestanden. Das interessiert keinen mehr.«
»Sie haben Sorge, dass sich die Aufzeichnung über das lange Leben von Etana durch wissenschaftliche Erkenntnisse untermauern ließe!« Jasmin hielt die Hände vor den Mund. »Dass das Altern überwindbar ist, dass es Menschen mit solch langen Lebensspannen vielleicht tatsächlich gegeben hat und wieder geben kann. Das ist Ihre Sorge, denn…«
»Die Wirkung des 47. Chromosoms in den Mäusen können Sie schließlich nicht leugnen. O Mann!« Chris’ Nackenhaare stellten sich auf, und das Blut pochte in seinen Adern. »Langsam begreife ich.«
»Nichts begreifen Sie!« Der Papst drehte sich wieder zu ihnen.
Chris und der Papst starrten sich feindselig an. Chris sah klare und intelligente Augen, die einen wachen Geist verrieten, der genau wusste, was er tat.
»O doch!«, erwiderte er. »Und deshalb wollen Sie die Knochen vernichten! Müssen Sie vernichten. Aus Ihrer Sicht!« Chris sah in den Augen des Papstes, dass seine Vermutung stimmte. »Ihnen kann man die Probe und die Knochen nicht überlassen, sie wären für die Wissenschaft verloren.«
»Das entscheiden nicht Sie.« Der Papst bebte vor unterschwelligem Zorn. »Wenn es geschieht, dann ist auch das Gottes Wille. Aber es wird nicht geschehen! Gott verrät sich nicht selbst. Sein Wille steht in der Bibel geschrieben. Der Herr aber sagte:
›Ich lasse meinen Lebensgeist nur eine Zeit lang im Menschen wohnen, denn der Mensch ist schwach und anfällig für das Böse. Ich begrenze seine Lebenszeit auf 120 Jahre‹
.«
Ein wutentbrannter Schrei zerriss die klare Morgenluft. In einer Lücke der nördlichen Mauerruine standen Hank Thornten und Zoe Purcell.
Purcell hatte die Vikarin an der Kutte gefasst und hielt eine Pistole an den Kopf der Nonne. Thorntens Gesicht war blutverschmiert, und er hielt seinen Körper schief, als lindere das seine Schmerzen. In der einen Hand hielt er ebenfalls eine Pistole, in der anderen trug er den Transportkäfig für die Mäuse.
Thornten achtete nicht auf Calvi und Trotignon, trat vor und schrie wieder mit überkippender Stimme.
»Zarrenthin! Gib sie ihm nicht! Sie gehören der Wissenschaft!« Thornten humpelte auf sie zu.
»Erschießt ihn, wenn er nur noch einen Schritt näher kommt!«, brüllte Chris in Richtung von Calvi und Trotignon.
Thornten humpelte weiter. Trotignons Schuss fuhr zwischen Thorntens Füßen in die verwitterten Steinplatten.
»Idioten!«, brüllte Thornten, blieb jedoch stehen. »Zarrenthin, die Knochen gehören der Wissenschaft… und die Probe auch… Sie wissen, welch einen Schritt wir machen könnten, um Menschen zu heilen. Gib sie mir!«
Zoe Purcell stieß die Vikarin vorwärts, bis sie neben Thornten standen.
»Und wenn nicht? Werden Sie dann die Vikarin töten?«
Der Chairman grinste böse und lachte schließlich auf. Ja, auch das werde ich noch tun, dachte er. Dieses Geheimnis war jedes Opfer wert. Von jedem. Er selbst hatte bereits geopfert. In wenigen Tagen war aus dem gut situierten Konzernführer ein zu allem fähiger Fanatiker geworden, der für diese Erkenntnis vor nichts zurückschrecken würde. Er wusste nicht, wann und wo er den unumkehrbaren Schritt endgültig getan hatte. Unwichtig, dachte er. Er würde das Geheimnis aufdecken. Und es war an der Zeit, dass die anderen auch dafür opferten.
»Sie werden es doch nicht so weit kommen lassen. Sie haben doch Verstand.« Thornten starrte auf den Koffer, der neben Chris auf dem Boden stand. »Ich will die Proben.«
»Das habe ich verstanden.«
»Hat er Ihnen Argumente geliefert, die Sie überzeugen?« Thornten deutete auf den Papst. »Kann er gar nicht… Er hat nämlich keine Antworten. Er nicht, sein Glaube nicht und die Philosophen insgesamt nicht. Das Zeitalter der Naturwissenschaften ist mit dem Siegeszug der Biologie endgültig angebrochen, endlich, jetzt endlich sind sie unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Die Naturwissenschaften
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