Der Bastard und die Lady
wurde oder jemand noch einmal dieses Wort sagte. Sie schloss halb die Augen, weil sie nicht wusste, ob sie wirklich sehen wollte, was sie doch unbedingt sehen wollte, und strebte dem Zimmer zu.
Was sie erblickte, als sie eintrat, war: ein entschieden hübscheres Zimmer als alle, in denen sie in den vergangenen paar Tagen geschlafen hatte; die beiden Männer, denen sie im Flur ihres Gasthauses begegnet war, mit erhobenen Händen und vor unterdrückter Wut düsteren Mienen; Beau, der seine Pistole auf die beiden Männer richtete; Puck, der lässig an einem Tisch lehnte und seinen Apfel aufaß … und der schönste, umwerfendste Mann, den sie je gesehen hatte.
Und höchstwahrscheinlich der wütendste.
Jack Blackthorn war groß, größer noch als Beau. Es war nicht zu übersehen, dass die drei Männer Brüder waren, Augen und Kinn waren ziemlich ähnlich. Doch damit endeten die Gemeinsamkeiten auch schon.
Beau und Puck waren blond, Jack dagegen dunkel. Dunkel wie die Nacht. Sein Haar, seine Augen. Seine Haut erschien irgendwie derber, sonnengebräunt, wettergegerbt. Puck hatte, passend zu seinem Namen, weiche, irgendwie engelsgleiche, aber freche Züge, und Beau sah aus wie ein Mann, der weiß, wer er ist, und einigermaßen zufrieden damit ist, doch Don John Blackthorns Züge erschienen wie aus hartem, makellosem Stein gemeißelt.
Als er den Blick aus seinen dunklen Augen auf Chelsea richtete, lief ihr tatsächlich ein Schauer über den Rücken.
Black Jack.
Der Name passte zu ihm wie die Faust aufs Auge.
„Und wer ist das? Unser Dienstmädchen vermutlich? Sagen Sie etwas, Schätzchen, damit ich sicher sein kann.“
„Ich bin nicht Ihr Schätzchen und auch kein Hund, der auf Befehl bellt“, ließ Chelsea ihn hitzig wissen.
„Danke, ja, Sie sind’s. Verdammt noch mal, Beau, ist das die junge Frau, die du heiraten willst? Das solltest du dir vielleicht noch einmal überlegen. Sie ist eine viel zu gute Schauspielerin, und wir alle wissen doch, wohin das führen kann, oder? Ach, und stecke bitte die Pistole ein. Diese zwei werden keinen Fluchtversuch unternehmen. Schon gar nicht der arme Kerl, dem du die Tür ins Gesicht geknallt hast. Ich glaube, seine Nase ist gebrochen.“
„Schade, dass du nicht selbst geöffnet hast“, sagte Beau mit einem flüchtigen Grinsen und wies mit der Pistole nach links auf Jonas. „Ich weiß jedoch ganz sicher, dass der da ein Messer bei sich trägt.“
„Meinst du dieses fiese kleine Ding?“, fragte Jack, zog einen bereits vertrauten Gegenstand aus der Tasche und drückte irgendeinen Knopf. Chelsea hörte ein Klicken, und die Klinge sprang heraus. „Wir haben uns heute Abend zum ersten Mal getroffen, aber ich war gewarnt und wusste, was zu erwarten war. Ich habe es ihm sofort abgenommen. Ich Tölpel, ich habe ihn angerempelt, als wir uns zusammensetzen, um unsere Pläne zu besprechen.“
„Verdammt noch mal!“ Jonas klopfte seine Taschen ab. „Bastard! Du hast mich bestohlen!“
„Unsinn. Ich habe dich nur um das Mittel zum Zweck erleichtert. Das Mittel zu meinem Tod, genauer gesagt. Mir gefiel die Vorstellung nicht sonderlich, dass dieses pfiffige Spielzeug mir die Kehle durchschneiden sollte. Jetzt bitte wieder die Hände hoch. Wie du bereits bemerkt haben wirst, neigt dieser Mann zu sprunghaften Handlungen, und ich will doch nicht, dass du deinen Termin mit dem Henker verpasst.“ Dann lächelte er Beau zu. „Sag mal, seit wann unterliegst du dem Irrtum, dass ich dumm wäre?“
„Seit du in der Wiege gelegen hast“, antwortete Beau. „Das war’s dann? Wir sind hierher geeilt, um dich zu schützen, in erster Linie vor dir selbst, und waren dir dann nur im Weg?“
„Ja, ich glaube, das trifft den Kern. Doch ich weiß die nette Geste zu schätzen. Aber bitte, wenn es euch nichts ausmacht, ich erwarte zwei Herren, die mir helfen wollen, diese Verräter nach London zu schaffen. Mir wäre es lieber, wenn ihr ihnen nicht begegnet, denn sie möchten gern anonym bleiben. Und ich auch“, fügte er tonlos hinzu.
„Wann brichst du auf? Ich habe dich seit zwei Jahren nicht gesehen. Weißt du, du hättest zum Begräbnis bleiben können, statt dich wie ein Dieb ein- und wieder hinauszuschleichen.“
„Ich hätte, Beau, ja. Aber ich wollte nicht.“
„Wegen Mutter.“
„Weil ich nicht dorthin gehöre“, antwortete Jack und zückte seine Taschenuhr. „Ihr geht jetzt am besten.“
„Sie denkt, du bist ein Wegelagerer oder etwas dergleichen“, sagte Beau.
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