Der Bastard und die Lady
sie zurück.
„Moment mal, wohin wollen Sie? Sie können nicht einfach hereinkommen und nach oben laufen. Sie müssen bezahlen, sich ins Buch eintragen.“
Beau blieb stehen, wandte sich nach links. Funkelte den Mann böse an.
„Oh ja, My Lord, schon gut“, sagte der Wirt hastig und zog das Meldebuch über den Tresen zurück. „Das erledigen Sie dann später, nicht wahr, Sir?“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt und watschelte eilig in Richtung Schankraum.
„Gut gemacht“, flüsterte Chelsea, als sie die Treppe hinaufstiegen. „So ungern ich mir einen solchen Blick von dir einhandeln möchte, muss ich doch fragen: Wissen wir, wohin wir wollen?“
„Zimmer 3 B“, antwortete er und stieg eine weitere, engere Treppe hinauf. Puck folgte mit ein wenig Abstand, denn er hatte rasch noch einen Apfel aus der Schale auf dem Tresen stibitzt.
„Ich habe mein Abendessen versäumt, schon vergessen?“, fragte er, als sie im zweiten Stock angelangt waren und Beau ihn mit dem inzwischen halb aufgegessenen Apfel sah, was ihn wieder zu einem bösen Blick veranlasste. „Keine Sorge. Du kannst den Mann bezahlen, wenn wir gehen.“
Chelsea wusste vom Hörensagen, dass Gefühle manchmal höchst sonderbar zum Ausdruck kommen. Angst, selbst Trauer, kann einen Menschen in hysterisches Gelächter ausbrechen lassen, während andere Menschen vor lauter Glück Tränen vergießen. Sie erinnerte sich sogar an ein Zitat des Essayisten Charles Lamb, in dem er erklärt, dass schreckliche Dinge ihn häufig zum Lachen brächten und er sich einmal auf einem Begräbnis schrecklich danebenbenommen habe. Sie hatte sich oft gefragt, was das bedeutete, glaubte es jetzt aber zu begreifen. Entweder man lachte oder man weinte.
Sie hoffte inständig, dass ihnen kein Begräbnis bevorstand. Doch Chelsea verstand Mr Lamb vollkommen. Denn so schrecklich dieser Moment auch sein mochte, und auch wenn der nächste Moment noch schrecklicher würde, zu sehen, wie Puck seinen Apfel aß, erschien ihr so lustig, dass sie sich beherrschen musste, um sich nicht lachend am Boden zu wälzen, bis sie Bauchschmerzen bekam.
Irgendwie riss sie sich zusammen und folgte Beau den Flur entlang, bis sie vor der Tür stehen blieben, auf der mit Kreide 3 B geschrieben war, dazu noch ein paar Wörter, die sie vorgab nicht entziffern zu können.
Beau nickte knapp, und sie hob die Hand, ballte sie zur Faust und zögerte. Jetzt würde sie ihm zeigen, was in ihr steckte. Sie hatte schließlich nicht ihr ganzes Leben umringt von Dienstboten jeder Art und Klasse verbracht, ohne das eine oder andere zu lernen.
Sie klopfte drei Mal an die Tür.
„Frische Handtücher für die Nachtwäsche, der Herr“, rief sie, wandte sich um und lächelte Beau triumphierend an.
Mit Daumen und Zeigefinger massierte er sich die Nasenwurzel, schloss kurz die Augen und verzog gequält das Gesicht.
„Ich brauche keine, vielen Dank“, ertönte eine Stimme hinter der Tür.
Jack? fragte Puck ihn lautlos und zuckte die Achseln.
Beau nickte. Chelsea war verblüfft. Sahen die Brüder sich so selten, dass Puck nicht einmal Jacks Stimme eindeutig erkannte? Innerlich seufzte sie. Wenn sie doch das Gleiche über Thomas sagen könnte.
Beau packte sie am Ellenbogen, als wollte er sie von der Tür fortziehen, doch Chelsea war nicht bereit, schon vor der ersten Hürde aufzugeben. Sie klopfte noch einmal.
„Ich frage nicht, My Lord, ich sage Bescheid. Ich hab keine Lust, runterzugehen zu diesem dicken Tollpatsch und mir die Ohren langziehen zu lassen, weil ich meine Arbeit nicht getan habe. Sagt der Mann, ich soll Handtücher nach 3 B bringen, bringe ich Handtücher nach 3 B. Nichts Tolles, aber immerhin sauber. Und jetzt machen Sie auf!“
Puck, den Apfel zwischen den Zähnen, applaudierte lautlos, und sie knickste höflich, schnappte dann aber nach Luft, als er sie unvermittelt am Arm packte und sie den Flur entlangschubste, als Schritte hörbar wurden, die sich der Tür näherten.
Sie drückte sich rücklings an die Wand und sah zu, wie die beiden Männer, plötzlich entsicherte Pistolen in den Händen, auf das Geräusch der Türentriegelung warteten. Beau versetzte der Tür einen gewaltigen Tritt, sodass sie die Person auf der anderen Seite mit voller Wucht traf, und stürmte ins Zimmer.
Ein dumpfes Geräusch war zu hören, ein lauter Fluch, gefolgt von weiteren Flüchen, viel Geschrei und dann Stille.
Chelsea hielt sich die Ohren zu, für den Fall, dass doch noch eine Pistole abgefeuert
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