Der Bastard von Tolosa / Roman
würde sich vergessen und mich angreifen. Aber dann ließ er ab, und auch die anderen ließen ihre Waffen sinken.
Die Alte, das faltige Antlitz nass von Tränen, saß auf dem Boden und wiegte ihre sterbende Enkelin in den Armen. Als sie meinen Blick spürte, verzerrte sich ihr Gesicht zu einem Ausdruck unbeschreiblichen Hasses. Sie deutete mit blutverschmiertem Finger auf mich und spie mir Worte ins Gesicht, die ich nicht verstehen konnte. Dabei bohrten sich diese schrecklichen, rotgeränderten Augen tief in meine Seele. Ich schob mein Schwert in die Scheide und wandte mich schaudernd ab, nicht ohne das Zeichen gegen den bösen Blick zu machen. Lange noch verfolgten mich ihre Flüche und Verwünschungen, denn anderes konnte es nicht sein.
Wir hinterließen ein verwüstetes Dorf und zu viele Leichen. Die Männer murrten, dass die Ausbeute gering und Bertran ein seltsamer Kauz sei. Wenige Stunden später schlugen wir flussaufwärts unser Nachtlager auf und rösteten das erbeutete Hammelfleisch. Einige zählten die Münzen, deren Verstecke sie bei den Dörflern erpresst hatten. Der ungeschlachte Blonde mit dem roten Mal auf der Wange saß bei Graf Bertrans Vetter Ricard de Peyregoux, der sich laut vor den anderen mit der Zahl der Ungläubigen brüstete, die er an diesem Tag getötet hatte. Verdammte Maulhelden!
***
Früh am Morgen nach dem Überfall auf das unglückliche Dorf waren wir der Straße ins Gebirge gefolgt, und nun, am Nachmittag, nach bezwungenem Pass, sah es so aus, als hätten wir den schwierigsten Teil des Weges hinter uns. Schnee war losem Geröll und kargem Flechtenbewuchs gewichen und die Straße breiter und weniger steil geworden, so dass wir leichter vorankamen.
Wir näherten uns einem Wald von riesigen, alten Zedern. Früher soll es überall große Wälder von diesen stattlichen Bäumen gegeben haben, aber inzwischen ist immer weniger davon geblieben. Seit den Tagen Alexanders werden hier Zedern für den Bau von Kriegsschiffen gefällt. Auch die Genuesen sandten regelmäßig Mannschaften zum Holzschlagen in die Berge.
Eine halbe Meile vor uns ritt eine kleine Vorhut von fünf Mann, unter ihnen auch zwei der einheimischen Kundschafter. Ich zügelte meinen Hengst und blickte zurück, ob sich die Kolonne nicht zu sehr auseinanderzog. Auch Hamid hatte angehalten. Die Hunde sahen sich fragend nach uns um, trotteten dann weiter, sicher, dass ich nachkommen würde. Ich besaß zwei riesige, graue Doggen. Normannische Kampfhunde. Außer in der Schlacht waren sie gutmütig und beliebt bei den Männern.
Graf Bertran ritt mit einem kurzen Kopfnicken an mir vorbei.
»Wie lange noch, Jaufré?«
»Zwei Tage etwa!«, rief ich ihm nach. »Morgen Abend können wir in unseren Betten schlafen.«
Bertran ließ sich die Enttäuschung über den mangelnden Erfolg unseres Raubzugs nicht anmerken. Sein Vater Raimon dagegen hätte jeden seinen Zorn darüber spüren lassen. Damit konnte man umgehen. Aber was war vom scheinbaren Gleichmut des Sohnes zu halten? Außerdem trauten nur wenige seinen Fähigkeiten als
magister milites,
denn er hatte kaum Schlachterfahrung aufzuweisen. Dabei war die endgültige Eroberung von Tripolis allein ihm zu verdanken gewesen. Ich will kurz berichten, wie es dazu gekommen war.
Neun Jahre zuvor, im Jahr 1101, also zwei Jahre nach dem Fall Jerusalems, hatten alle großen Führer der
militia christi
eigene Reiche an sich gerissen. Den frommen Lotharinger Godefroi de Bolhon hatte man zum Ärger Raimons zum König von Jerusalem gewählt, obwohl er sich nur
advocatus sancti sepulcri,
Beschützer des Heiligen Grabes, nennen wollte. Der Normanne Bohemund hielt Antiochia, und Balduin, Godefrois Bruder, hatte Edessa am oberen Euphrat erobert. Dann war Godefroi plötzlich gestorben, und Balduin hatte sofort, bevor jemand widersprechen konnte, als dessen Bruder die Königswürde beansprucht. Raimon dagegen vergeudete viel Zeit mit einer Reise nach Konstantinopel, um sich mit Kaiser Alexios zu beraten. Schließlich tauchte er wieder in Latakia auf, wo seine junge Frau, Elvira von Kastilien, halb verrückt vor Sorge auf ihn gewartet hatte. Nach den vielen Strapazen auf dem Feldzug hatte die Frau das rauhe Leben in den Feldlagern gründlich satt. Ich weiß es, denn in der Zeit war ich
capitan
ihrer Leibwache gewesen.
Viele Provenzalen hatten dem Heiligen Land den Rücken gekehrt, und nur dreihundert Berittene und zweitausend Mann Fußvolk waren Raimon geblieben. Nicht mehr als ein Häuflein
Weitere Kostenlose Bücher