Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
Vom Netzwerk:
Landesherr wie der Graf. Und das Bistum besitzt viele Burgen und Klöster im Land verteilt. Odo könnte sogar ein kleines Heer aufstellen.«
    Nach einem Rundgang entlang der Mauern gewannen wir eine Übersicht, wie Narbona angelegt war. Die Aude zerteilt die Stadt in zwei Hälften. Am Ostufer liegt
la Ciutat,
der ursprüngliche Kern mit Kathedrale, Bischofssitz und dem Palast der Grafen von Narbona. Am Westufer befindet sich
lo Borc,
die Vorstadt neueren Datums, mit Kloster und Basilika des Sant Paul, Ziel vieler Pilger auf ihrem Weg nach Compostela.
    Beide Stadtteile platzen schier aus den Nähten, so eng und verwinkelt stehen die Häuser beieinander. Im rechten Winkel zum Fluss durchquert die Via Domitia, die alte Heerstraße, die Stadt und bildet so die Grenze zwischen dem
dominium
des Bischofs und dem der Grafen im Südteil. Narbona ist von hohen Mauern umgeben, an denen in regelmäßigen Abständen mächtige Wehrtürme emporragen, die von alteingesessenen, adeligen Familien gehalten werden.
    Ein wenig müde nach unserem Streifzug standen wir zuletzt auf der Kaimauer am Fluss und beobachteten das Treiben auf den Schiffen und Kähnen, auf denen Waren ausgeladen und andere an Bord genommen wurden. Ein Bild wie in allen Häfen. Die gleichen sonnenverbrannten Gesichter der Matrosen, die gleichen nackten Füße auf wackeligen Planken, die gleichen schweißnassen Rücken, die schwere Ladung an Bord hievten.
    Aber etwas war doch ganz anders. Ich schloss die Augen, um besser hinzuhören, denn hier sprachen sie kein Arabisch, kein Türkisch, kein Griechisch und kein Aramäisch. Nein, es war das klangvolle Provenzalisch der Küstenbewohner oder die bedächtige und karge Sprache der Bauern aus dem Bergland. Ich genoss den Augenblick und ließ mich in den Strömungen vertrauter Laute treiben, die uns von allen Seiten umspülten. Da schalt ein Meister seinen Lehrling, zwei Nonnen zogen schwatzend und kichernd vorbei, ein Fischer fluchte gotteslästerlich, als ihm ein Bottich aus den Händen glitt. Und mit diesen Lauten durchflutete mich ein sonderliches Gefühl, vom Herzen bis in die Zehenspitzen. Fast hätte ich mich auf den Boden geworfen und die Pflastersteine geküsst.
    »Geht es dir gut?«, erkundigte sich Hamid besorgt.
    »Es ist mir nie bessergegangen, Alter!«, rief ich lachend. »Die Irrfahrt hat ein Ende. Ich bin zu Hause, Mann!«
    Die Aude suchte grün und träge ihren Weg zum Meer. Die Stadt lärmte, Händler beschwatzten Pilger auf der Durchreise, die Bettler waren aufdringlich, es roch nach Unrat und Fäulnis und gebratenem Fisch. Aber die Sonne ließ sich angenehm auf der Haut spüren, es war Frühling, und hinter der Stadt stiegen blau die Berge in den Himmel.
    Ich legte meinen Arm um Adelas schmale Schultern. Bald würden wir zu meinem Dorf aufbrechen, und selbst Odo würde die gute Stimmung nicht trüben können.
    Wir wandten uns Richtung Marktplatz, wo ein Menschenauflauf unsere Aufmerksamkeit erregt hatte, und drängelten uns durch die Menge, damit Adela etwas zu sehen bekam. Ein Schausteller, ein hässlicher Kerl mit strähnigen, grauen Haaren und seine verhärmte Gefährtin in zerrissenem und vor Schmutz starrendem Rock gaben eine Vorführung mit einem Tanzbären. Das mächtige Tier trat von einem Fuß auf den anderen und schwenkte den zottigen Kopf von Seite zu Seite. Es musste ein alter Bär sein, denn sein Fell war stumpf, an Stellen grau und sah wie von Ratten angefressen aus. Im Gesicht trug er Narben, und über der Schnauze war eine kaum verheilte, noch blutverkrustete Wunde.
    Sein Halter zerrte am Nasenring und versuchte vergeblich, das Tier zu bewegen, sich auf die Hinterbeine zu stellen. Die Menge buhte und spottete. Zum Abdecker solle er ihn bringen, und selbst als Bettvorleger tauge der Bär nicht mehr. Der Mann zerrte erneut am Nasenring und schlug wieder und wieder mit einer eisernen Kette zu, auch auf den Kopf des Tieres, und es war klar, woher die Narben stammten, denn nun tropfte frisches Blut in den Staub.
    »Er soll ihn nicht quälen, Vater.«
    Wir hielten gebannt den Atem an, denn gleich würde der Bär sich zur Wehr setzen, und ein Schlag mit der mächtigen Pranke musste seinen Peiniger mit Sicherheit töten. Aber das große Tier wirkte unsicher und seltsam eingeschüchtert, als habe es jeden Glauben an die eigene Kraft verloren. Was hatten sie nur aus diesem König der Wälder gemacht?
    Unter den Pfiffen der Leute stemmte sich der Bär schließlich auf die Hinterbeine und machte mit

Weitere Kostenlose Bücher