Der Bastard von Tolosa / Roman
zu dem Jungen getreten und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar. Der drehte sich zu ihr um und lächelte glücklich über diese Berührung. Als ich sein Lächeln sah, gab es mir einen scharfen Stich durchs Herz, denn es war, als hätte Amelha selbst gelächelt.
»Ist das etwa …?«, stammelte ich verwirrt. »Wie kann das sein?«
Jori sah betreten auf seine schwieligen Hände. »Ja, Herr. Es ist Euer Sohn. Er ist nicht gestorben, wie man es Euch hat glauben machen.«
Mir stockte der Atem. Ich hatte das Gefühl, als sei alles Blut aus meinem Gesicht gewichen.
»Wie ist sein Name?«, flüsterte ich.
»Ich weiß, es ist anmaßend, und ich hoffe, Ihr verzeiht, aber meine Schwester hatte vor ihrem Tod darauf bestanden, dass wir ihn nach Eurem Vater benennen. Er heißt Ramon.«
***
Nur wenig später brachen wir auf und ritten schweigend zurück nach Rocafort.
Die Mühle und das Treffen mit Jori hielten mich in ihrem Bann. Plötzlich hatte die Vergangenheit mich wieder eingeholt. Jahrelang war ich in dem Glauben gewesen, unser Kind sei mit Amelha gestorben. Sie hatte ihn Ramon genannt. War das ihr letzter Wunsch gewesen, bevor sie ihr Leben aushauchte? Daran zu denken, schnürte mir die Kehle zu.
»Jetzt weiß ich, warum die Alte so ängstlich war«, sagte ich, als wir uns der Burg näherten. »Sie haben mich belogen.«
»Warum hast du nicht mit dem Jungen gesprochen?«
»Ich weiß nicht. Es kam so plötzlich. Ich muss mich erst daran gewöhnen.«
Er lachte leise. »Deine Familie wird immer größer.«
»Ich finde das nicht zum Lachen!«
»Nein. Sicher nicht. Aber sei froh. Kinder sind ein Geschenk Allahs.«
»Soll ich mich über einen schwachsinnigen Krüppel freuen?«
»Warum nicht?«
»Gottes Strafe für meinen Verrat an ihr«, murmelte ich.
»Das ist lächerlich, Jaufré. Es war doch zu erwarten, dass dich hier das eine oder andere an vergangene Tage erinnern würde. Damit musst du leben. Es ist ein Teil von dir.«
»Aber warum das Kind bestrafen? Warum konnte es nicht gesund zur Welt kommen?«
»Du weißt, ich habe ein wenig von unserer Heilkunst studiert«, sagte er geduldig. »Ein Kind liegt manchmal falsch im Leib der Mutter. Das behindert die Geburt und verletzt das Neugeborene. Daran ist Amelha gestorben. Wäre ein guter Arzt zur Hand gewesen, er hätte das Kind drehen können, und niemand wäre zu Schaden gekommen. Ich habe solche Eingriffe mehrfach beobachtet.«
»Du meinst wie beim Kalben? Wenn nicht zuerst der Kopf herauskommt, stirbt die Kuh?«
»So ähnlich. Manchmal dreht sich das Kind so heftig im Mutterleib, dass es an der eigenen Nabelschnur erstickt.« Hamid lächelte und schlug mir auf die Schulter. »Sei froh, der Junge lebt, auch wenn er nicht wie andere ist. Hör auf, von Gottes Zorn zu reden. Im Gegenteil, Allah hat es gut mit dir gemeint. Er hat dir Amelhas Kind geschenkt, damit du dich mit Freude an sie erinnerst, denn in Ramon lebt sie weiter.«
Seine Worte bewegten mich. Ich atmete tief durch. »Aber sag niemandem etwas davon.«
»Ich wette, das ganze Dorf weiß, wer Ramon ist.«
»Vielleicht, aber ich will nicht darauf angesprochen werden«, erwiderte ich heftig. »Zuerst muss ich selbst damit ins Reine kommen.«
Er nickte, und wir legten den Rest des Weges in Schweigen zurück.
An der Brücke sahen wir zur Burg hinauf. Sie lag still und erhaben, von allem entrückt, hoch über der Straße auf ihrem Felsen, so als stünde sie über allen kleinlichen, irdischen Sorgen, die uns hier unten bewegten. Ein falscher Eindruck, denn als wir wenig später in den Hof der Vorburg ritten, fanden wir dort große Aufregung vor. Berta, umringt von Gesinde und Waffenknechten, hatte ungeduldig auf mich gewartet und ließ mir kaum Zeit, vom Gaul zu steigen.
»Er ist zu Borcelencs geritten!«, stürmte sie auf mich ein. Ihre Augen waren rot gerändert. Sie musste geweint haben.
»Woher weißt du das?«
Sie packte Martin am Arm, der hinter ihr stand, und zerrte ihn vor mich hin.
»Los, du Schlingel!«, befahl sie. »Sag es ihm.«
Der Junge hatte Tränen in den Augen, und seine Stimme zitterte. »Ich musste Raol versprechen, nichts zu sagen.«
»Erzähl mir alles, ganz langsam und von vorn«, sagte ich zu ihm.
Berta unterbrach mich. »Raols feine Kleider sind weg und seine silbernen Gürtelschnallen. Da war mir klar, sie sind nicht zum Jagen geritten.«
Ich blickte Martin in die Augen. »Und du wusstest es?«
Er nickte und zog ein klägliches Gesicht. Da bekam er Unterstützung von
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