Der Bastard von Tolosa / Roman
zu drehen.«
»Er ist der Älteste und erbberechtigt.« Eigentlich war Ramon der Älteste, wurde mir plötzlich bewusst. Aber er war nur ein Bastard und schwachsinnig obendrein. »Bei meinem Ableben wäre Raol mein Nachfolger in allen Dingen. Er erbt Land und Titel. Aber solange er unverheiratet ist, hat sein Munt das Sagen. Danach wird er selbst mündig und kann über alles allein verfügen. Andere Erbverfügungen hängen vom Testament ab. Berta bekäme in jedem Fall ihre Mitgift.«
Bei dem Wort Mitgift zog sie die Mundwinkel herunter und warf mir einen giftigen Blick zu. »Gibt es denn ein Testament?«, fragte sie.
»Nein«, gab ich zu.
»Jaufrés Tod würde Robert also nutzen«, schloss Hamid, »vorausgesetzt, er kann sich Hoffnungen auf Raols Vormundschaft machen. Gesetzt den Fall, dir würde etwas zustoßen, Jaufré, könnte er dann die Munt ohne Bertas Zustimmung beanspruchen?«
»Anspruch hätte er nur als ihr Gemahl.«
»Zu einer Ehe würde ich jetzt niemals einwilligen«, fauchte Berta.
»Er hat sich als kluger Mann erwiesen«, sagte Hamid ruhig. »Er würde ein Mittel finden und dir keine Wahl lassen.«
Joana, die bisher mit finsterer Miene und ohne ein Wort am Tisch gesessen hatte, öffnete plötzlich den Mund. »Es stecken ganz andere Dinge dahinter.«
»Wovon redest du?«, fragte ich.
»Von Dingen aus alten Zeiten«, sagte sie. »Es hat mit Odo zu tun. Ich kann es fühlen, und es macht mir Angst.«
»Was soll das sein?«
»Ich weiß es nicht«, brummte sie zornig. »Aber Rocafort ist der Schlüssel. Er will die Burg, sage ich!«
»Eine kleine Wachtburg?«, fragte ich. »Wie kommst du darauf? Und wie soll er das anstellen? Wir können uns verteidigen.«
»Wie soll ich das wissen? Irgendeine Schurkerei wird er schon im Sinn haben.«
»Was ist an der Burg, Joana?« Hamid hatte sich vorgelehnt und blickte ihr eindringlich in die Augen.
»Sie haben immer so heimlich getan. Vielleicht sind hier Dinge versteckt, von denen wir nichts wissen.«
»Was, zum Teufel, soll das sein?«, fragte ich.
»Odo wird es wissen«, wich sie aus. »Frag ihn!«
Sie machte den Mund zu, und alles weitere Fragen half nichts. Joana blieb stumm. Damit gingen wir auseinander.
Am Abend stand ich noch lange am Turmfenster und starrte hinaus in die dunkle Landschaft. Was hatte Joana gemeint? War es nur ihr Gefühl, oder wusste sie etwas? Und was sollte es Geheimnisvolles auf dieser Burg geben? Eigentlich hatte dieser Borcelencs bisher nur um Bertas Hand angehalten und Raol mit Geschenken überhäuft. An sich nichts Schlimmes. Ob er hinter den Brandstiftungen steckte, konnten wir nur vermuten, und doch waren genug seltsame Dinge geschehen, dass wir alle bereit waren, ihm die schlechtesten Absichten zuzutrauen. Warum war ihm Raol so wichtig? Was, zum Henker, wollte er von uns?
***
Ghalib scharrte ungeduldig mit den Hufen.
Die Mühle lag winzig klein in einiger Entfernung vor uns in der Flussmulde. Die neue Heimat schien dem Tier gut zu bekommen. Sein Fell glänzte schwarzseiden, und heute Morgen war er übermütig und wollte laufen. Ich klopfte ihm beruhigend auf den Hals. Dort unten lebt also Ramon, dachte ich. Ein Jahr älter als Raol. Ob er wusste, wer sein Vater war? Was hatten sie ihm erzählt? Begriff er überhaupt etwas von seinem Schicksal?
Ich gab Ghalib das ersehnte Zeichen, dass es weiterging, und auf der Strecke bis zum Kloster erlaubte ich ihm, sich auszutoben, so dass wir im Galopp und mit fliegenden Hufen ankamen und den Sand vor der Klosterkirche aufwühlten. Ich sprang aus dem Sattel und warf den beiden Mönchen, die angelaufen kamen, die Zügel zu.
»Willkommen zu Cubaria,
Senher!
«, rief einer der beiden, ein kahlköpfiger Bruder mit einer hässlichen Flechte am Hals.
Ich nickte kurz angebunden und trat in die Kirche.
Die kleine Klosterkirche zu Cubaria ist ein einfaches, gedrungenes Bauwerk in der
maneira romana
erbaut mit wenigen, winzigen Fenstern hoch oben in den dicken Mauern und einer Glocke über dem Giebel. Der Innenraum ist klein, und das Gewölbe braucht keine Säulen. Ich konnte kaum etwas erkennen, so dunkel war es nach dem grellen Sonnenlicht draußen, dafür aber angenehm kühl. Nichts hatte sich verändert. Der gleiche karge Raum aus rauhem Stein, an den ich mich erinnerte. Kein Laut drang durch die zeitlosen, mächtigen Mauern, und es war, als gäbe es hier weder Vergangenheit noch Zukunft. Auf dem Altar beleuchteten zwei Kerzen ein geschnitztes Kruzifix, auf dem ein Jesus mit
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