Der Bastard von Tolosa / Roman
Ausnahme.« Sie hob fragend die Augenbrauen. »Bertran, Raimons Sohn. Der hat mich reich beschenkt.«
»Also schön«, sie lächelte verlegen. »Zur
festa de Sant Joan
will ich meinen Köhler herausputzen und ihn dir vorstellen.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Dann schwiegen wir, und sie machte wieder ein tiefernstes Gesicht. Mit dem Zeh spielte sie unschlüssig im Gras und seufzte. Sie sah aus, als trage sie eine schwere Last auf dem Herzen.
»Was ist?«, fragte ich.
»Ich habe lange nachgedacht, Jaufré.«
Ich wartete. Anscheinend hatte sie mir etwas Bedeutsames mitzuteilen. Lange rang sie noch mit sich und holte schließlich tief Luft.
»Es war nie mein Platz, dich aufzuklären«, sagte sie gequält. »Odo hätte es tun müssen. Ich habe immer treu geschwiegen, wie er es wollte. Aber nun liegen die Dinge so, dass du es ohne Aufschub wissen musst.«
»Was muss ich wissen?«
»Raimons Sohn, sagtest du vorhin?«, fragte sie versonnen.
»Ja. Graf Bertran«, erwiderte ich erstaunt. »Mein Lehnsherr in Tripolis. Was ist mit ihm?«
»Es freut mich, dass er dich gut behandelt hat, Jaufré, denn …«
Sie zögerte immer noch.
»Denn was?«
Endlich fasste sie sich ein Herz.
»Er ist dein Bruder, Jaufré«, stieß sie atemlos hervor.
Hatte sie getrunken? Ich beugte mich vor, aber ihr Atem roch nicht nach Wein. War ihr die Hitze zu Kopf gestiegen?
»Was, zum Teufel, redest du da?«, fragte ich halb belustigt.
»Er ist dein Bruder«, wiederholte sie. Dabei zitterte ihre Stimme.
»Jetzt geht der Scherz zu weit, Joana!«, knurrte ich ungehalten. »Was soll der Unsinn?«
»Niemand durfte reden, Jaufré! All die Jahre. Aus Angst, man könne dir etwas antun.« Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, die sofort überquollen und ihr die Wangen hinunterliefen. Sie fasste meine Hände. »Aber als ich diesen Borcelencs gesehen habe, da war mir alles klar. Der weiß es, Jaufré. Ich bin sicher, der Kerl weiß alles.«
»Was weiß er?«, fragte ich wie betäubt.
»Sein Vater, der alte Borcelencs, und Odo. Die haben es ausgeheckt. Niemand durfte etwas wissen.«
Ich schüttelte benommen den Kopf. Was ging hier vor?
Und dann begann sie zu erzählen. Unterbrochen von gelegentlichem Schluchzen und neuen Tränen. Dass ich ein ganz anderer sei als immer geglaubt, nicht Cecilias Sohn, sondern das Kind einer unseligen Liebe. Versteckt hatten sie den Säugling hier auf dieser Burg, weit weg vom Hof.
Cecilia nicht meine Mutter?
Ich saß da wie in einem Traum, in dem man halb abwesend ist und doch alles um einen herum ganz eindringlich sieht, hört und fühlt. Thor, der den Rachen aufriss und gähnte. Der Braune, dessen lange Zähne an den Gräsern rupften, die er dann ruhig zwischen den Kiefern zermalmte, die schwüle Hitze, die einem das Hemd am Leib kleben ließ, tanzende Lichtflecken auf dem Gras, wo die Sonnenstrahlen sich ihren Weg durch das Laubdach der Bäume bahnten, ein Rascheln im Gebüsch, der Geruch modernder Blätter, ein Schmetterling, der torkelnd die nächste Blüte suchte. Ich nahm alles wahr und auch wieder nicht, denn über allem war Joanas Stimme, die mir diese irrsinnige Geschichte beichtete, mit mir als Hauptperson. Dabei hielt sie die ganze Zeit meine Hand. Ich sah, wie ihre Lippen sich ohne Unterlass bewegten und eine neue Träne der Spur folgte, die schon andere auf der Wange hinterlassen hatten, bis sie zitternd an ihrem Kinn hing. Ich wartete, dass die Träne fallen würde, und war enttäuscht, als Joana sie ungeduldig wegwischte.
Trotz dieser Eindrücke kann ich mich an jedes Wort erinnern, auch wenn sie keinen Sinn zu ergeben schienen.
Als Zwölfjährige sei sie in den Dienst der Familie des Markgrafen Bertran de Provence getreten. Joana war aus der Provence? Das erklärte den andersfarbigen Klang ihrer Sprache, der mir seit meiner Kindheit vertraut war, dachte ich, und den ich daher nie als fremdartig empfunden hatte. Weil sie ein tüchtiges und fröhliches Mädchen gewesen war, hatte bald die edle Anhes, die Tochter des Markgrafen, nach ihr verlangt. So wurde Joana ihre Dienstmagd, badete und kleidete die junge Herrin, band ihr Haar und teilte ihr Bett.
»Sie war schön wie eine Elfe, deine Mutter. Weißhäutig, pechschwarze Haare, Lippen rot wie Mohn. Oft verwöhnt und eigensinnig, manchmal herrisch. Aber ich habe sie geliebt, hätte alles für sie getan, Jaufré.«
Meine Mutter? Ich schüttelte den Kopf.
Aber Joana sprach weiter, und ihre Stimme füllte mein Herz mit
Weitere Kostenlose Bücher