Der Bastard von Tolosa / Roman
sah Joana schluchzend nicken. Mir schwanden fast die Sinne, als ob alles Blut aus meinem Hirn gewichen wäre.
»Guilhem soll mein Vater sein?«, stammelte ich. »Sant Gilles Bruder? Was erzählst du da?«
»Ja«, sagte sie. »Ich lüge nicht.«
»Aber ich bin jünger als Bertran!«
»Lange Jahre hat sie sich nichts anmerken lassen. Guilhem selbst wusste nichts von ihrer Liebe. Nur ich. Mit irgendjemandem musste sie ja reden.«
Wieder musste der Rock als Tränentuch herhalten. Als sie sich wieder gefasst hatte, erzählte sie von einem Fest zu Pfingsten in Carcassona, es muss vier Jahre nach Bertrans Geburt gewesen sein, fast ein Jahrzehnt nach ihrer ersten Begegnung mit Guilhem. Alle Welt sollte sich dort treffen. Junge Ritter von weither würden Mut und Geschicklichkeit in einem großen
tornei
unter Beweis stellen. Hierzu muss man wissen, dass die Trencavels, die Carcassona beherrschen, in den Jahren immer mächtiger geworden waren. Besonders seit Almodis de la Marche vor ihrem Tod Graf Guilhem überredet hatte, ihren Söhnen in Catalonha gegen Gold die Lehnsherrschaft über Carcassona zu übertragen. Vielleicht wollte sie die Halbbrüder in Frieden vereinen, aber das Gegenteil geschah. Die Trencavels nutzten die Lage, um Barcelona gegen Tolosa auszuspielen, um so ihre eigene Stellung zu stärken. Raimon steckte zu dieser Zeit im Krieg um die Grafschaft Roergue und fürchtete, sein Feldlager zu verlassen. Um nicht an Einfluss einzubüßen, schickte er seine besten Berater nach Carcassona – und seine Gemahlin Anhes.
»Anhes war das erste Mal seit vielen Jahren in höfischer Gesellschaft. Sie war schön, sie wurde hofiert wie eine Königin, alles war aufregend. Es verdrehte ihr den Kopf, Jaufré«, sagte Joana. »Und dann ritt Guilhem mit seinen Rittern in die Stadt. So ein stattlicher Mann. Du hast viel Ähnlichkeit mit ihm. Es verschlug ihr den Atem, ihn wiederzusehen. Guilhem war immer noch betrübt über den Tod seiner ersten Frau Matilda, und man sah es ihm an. Es brach ihr das Herz, ihn so zu sehen. Das hat vielleicht den Ausschlag gegeben, dass Anhes schließlich alle Bedenken in den Wind schlug.«
Ich schlug die Faust gegen meine Stirn.
»Heilige Maria! Ich kann es nicht glauben.«
Joana missdeutete meinen Ausruf. »Du musst ihr verzeihen, Jaufré!«
Ein gewaltiger Windstoß fuhr plötzlich durch die Bäume. Äste bogen sich, und altes Laub wirbelte hoch. Der Braune riss den Kopf hoch, und die Hunde waren aufgesprungen. Dann ein Blitz, und der nachfolgende Donner zeigte, dass das Gewitter schon sehr nah war.
»Was soll ich ihr verzeihen? Mein Leben?« Ich lachte irre, doch es war nicht komisch. »Wer bin ich also, wenn ich nicht Jaufré Montalban bin?«
Joana umfasste mein Gesicht mit beiden Händen. »Du bist immer noch derselbe.«
Ich riss mich los, und mit einer heftigen Armbewegung umschloss ich alles um uns herum. »Und das hier? Das gibt es auch nicht, was? Rocafort, meine Heimat … alles Einbildung? Warum bin ich dann hierher zurückgekehrt, wenn ich nicht hierhergehöre?«
Ich war aufgesprungen. Der Kopf wollte mir zerspringen. Ich biss mir in die Handknöchel, in der Hoffnung aufzuwachen. Irgendwo, dünn und weit entfernt, tönte ein Hirtenhorn. Ein zweites antwortete, etwas näher. Ich hörte es, aber was die Hornrufe bedeuteten, wollte nicht in mein Bewusstsein dringen. Wer, zum Teufel, war ich dann, wenn kein Montalban? Was hatten sie mit mir gemacht? Odo hat alles ausgeheckt, hatte sie gesagt, und bestimmt Cecilia. Das große Kriegshorn auf dem Turm von Rocafort ließ sich jetzt vernehmen, eindringlich, immer wieder. Aber da sah ich Bertrans gutmütiges Gesicht vor mir und sein verschmitztes Augenzwinkern. Er sollte mein Bruder sein? Nein, das kann nicht wahr sein. Joana war ebenfalls aufgesprungen und schrie mich an. Was wollte sie von mir?
Plötzlich schlug sie mir so hart ins Gesicht, dass meine Augen tränten.
»Jaufré, verdammt!«, schrie sie. »Wach auf! Robert ist im Anzug.«
»Was?«
Endlich verstand ich, was die verzweifelten Hornstöße uns sagen wollten. Der Wind heulte durch die Bäume, und es blitzte wieder.
»Los!«, schrie ich. »In den Sattel mit dir«, und hievte sie auf den Braunen.
Dann schwang ich mich hinter ihr auf die Kruppe des Gauls und, eine Wolke von aufgewirbeltem Laub hinter uns her lassend und mit den Doggen im Gefolge, so stoben wir im gestreckten Galopp den Weg zurück zur Burg.
In einer Hand hielt ich die Zügel, die andere war um Joanas
Weitere Kostenlose Bücher