Der Bastard von Tolosa / Roman
Schild fallen ließ, schreckte sie zusammen und konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Mitten in der Nacht packte sie ein Alptraum, und sie schrie wie am Spieß, bis ich sie wach rüttelte und meine Arme um sie schlang.
Ich dachte an Bertrans Worte. Dass wir Latiner aus dem Westen in diesem schönen Land siedeln, Söhne zeugen und die Heimat vergessen würden. Aber bis dahin war der Weg noch lang und steinig, wenn man uns überhaupt hier jemals dulden würde. Mit dem einfachen Landvolk, so wie Aniketos’ Gemeinde, ließ sich zurechtkommen. In den Städten dagegen lagen die Dinge anders. Doch vielleicht war es nur die Leere an meiner Seite, die mir die Hoffnung genommen hatte.
Auch Alexis lief mit einem elenden Gesicht herum. Plötzlich war es mir zu viel. Auf diesem Anwesen war in allem Noura, und ich wollte weg von hier. Gegen Mittag wurde gepackt. Nur die wichtigsten persönlichen Dinge, die uns verblieben waren. Viel war es nicht. Nouras Schmuck und ihre feinen Seidenkleider hatten die Seldschuken geraubt. Sie würden bald eine Muslima zieren, und meiner Tochter würde wenig von ihrer Mutter bleiben. Bevor wir aufbrachen, fand ich die kleine Madonnenfigur in der Ecke unserer Schlafkammer, wohin sie ein Türke achtlos geworfen hatte. Ich hielt sie lange in der Hand. Abgegriffene, blasse Braun- und Blautöne, die Fleischfarben des Gesichts und des Jesuskindes zu einem gräulichen Weiß verblichen. Traurig blickten mich die Augen der Jungfrau an und weise zugleich.
»Warum hast du uns verlassen?«, flüsterte ich.
Vorsichtig wickelte ich das Figürchen in ein Tuch und steckte es in meine Gürteltasche. Dann saßen wir auf und ritten nach Tripolis.
Raimons dunkle Festung
Sanctus Quirinus, Patron der Ritter, beschützt vor Bein- und Fußleiden, Gicht und Lähmung
Quarta Feria, 30. Tag des Monats März
E s war später Nachmittag, als wir uns der Stadt näherten. Die Sonne stand schon weit im Westen, und die Mauern von Tripolis in der Ferne waren in warmes Licht getaucht. Wir folgten dem kleinen Fluss Abu Ali, der nach Norden hin ins Meer mündet. Die Pferde gingen im Schritt, denn diesmal hatten wir es nicht eilig. Niemand sprach. Man vernahm nur das Stapfen der Hufe, das Klirren der Beschläge und ein gelegentliches Schnauben der Tiere.
Zu rechter Hand, nach Osten zu, stieg das Gelände zu den Bergen hin an. Vor uns befand sich eine längliche Erhebung entlang des Flusses. Einen Berg konnte man diesen Mons Pelegrinus nicht nennen. Eher eine kleine Anhöhe oder mit Wohlwollen einen Hügel. Von dort ließ sich nach Westen hin die flache Landspitze überblicken, auf der, auf beiden Seiten vom Meer begrenzt, die Stadt lag, um die wir so lange gekämpft hatten. Al-Mina, wie die Araber sie nennen, das eigentliche Tripolis mit seiner mächtigen Mauer, dem Palast des Emirs, den Minaretten und dem Hafenviertel. Davor die umfangreiche Vorstadt, die während der Belagerung zu großen Teilen abgebrannt war und wo Sant Gille von herabstürzenden brennenden Balken so schwer verletzt worden war, dass er sich nicht mehr erholte und bald darauf auf dem Siechbett gestorben war.
Der Hügel nahm sich bescheiden aus, aber die Burg, die Raimon dort hatte errichten lassen, war die größte allein stehende Festungsanlage, die ich je gesehen hatte. So etwas gab es in der alten Heimat nicht und wäre ohne die byzantinischen Baumeister und Steinmetze, die uns der Basileus aus Zypern hatte schicken lassen, nicht möglich gewesen. Ursprünglich sollte die Burg nicht nur kriegerischen Zwecken dienen, sondern auch den Pilgern auf ihrem Weg ins Heilige Land Schutz gewähren. Daher der Name. Aber heutzutage fanden die frommen Reisenden bessere Unterkünfte in der Stadt.
Als
castelan
war ich Herr und Befehlshaber dieser Festung. Zu meiner Überraschung hatte unser Heermeister Guilhem Jordan mir vor zwei Jahren diese Aufgabe übertragen, und Bertran, nach Balduins Schlichterspruch, hatte meine Stellung bestätigt.
Mit einem Umfang von einhundert mal zweihundert Schritten war die Festung ein riesiger, eher hässlicher, klobiger Kasten, dessen rechteckige Form trotzig nach Tripolis starrte. Dicke, hohe Mauern, die aus mächtigen Felsquadern gefügt waren. Kein Bergfried oder
donjon,
so wie wir es kannten, und keine Dächer überragten die Mauern, sondern nur Wachtürme in kurzen Abständen, jeweils mit Zinnen, Schießscharten und Kampfplattformen versehen.
So einfach und schmucklos nach außen, so vielfältig war das Innenleben der Festung.
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