Der Bastard von Tolosa / Roman
Eurer Abwesenheit hat er
Senher
Ricard die Aufsicht anvertraut. So hieß es jedenfalls«, stammelte er aufgeregt.
»Schafft mir den schändlichen Anblick aus den Augen!«, schrie ich ihn an. »Sind wir denn allesamt zu Bestien verkommen?«
»
Castelan,
es tut mir leid!«, rief der Mann ängstlich.
Mir war bewusst, dass ich meine Wut am falschen Mann ausließ. »Nehmt diesen Käfig von der Mauer und lasst den Mann christlich begraben. Hast du mich verstanden?«
»Christlich begraben, Herr.« Er nickte beflissen.
»Und schickt jemand zu Ricard de Peyregoux. Er soll sich unverzüglich in meinem Quartier melden.«
»Jawohl,
Castelan.
« Dann besann er sich. »Es tut mir leid, Herr. Der
Cavalier
Ricard ist mit einer Gruppe in die Berge geritten. Zur Jagd. Und man dürfte sie heute nicht mehr erwarten.«
Ich kniff den Mund zusammen. Diese Sache konnte ich ihm nicht durchgehen lassen, Vetter des Grafen oder nicht. Er hatte nicht einmal Befugnis, den Gefangenen zu befragen, ganz zu schweigen, ihn unerlaubt hinzurichten. Und dann auf diese bestialische Weise. Das konnte böses Blut geben. Ernsthafte Aufstände in der Bevölkerung würden uns schwächen oder zumindest so viele Kräfte binden, dass wir für Angriffe von außen empfindlich wurden. Ich musste Ricard zur Rede stellen und ihn maßregeln. Was war dieser Junge nur für ein Kerl, dass er solche Greuel anordnen ließ?
»Dann überbring Arnaud, dem Waffenmeister, meinen Gruß, und dass ich ihn so bald wie möglich empfangen möchte. Und sag ihm, er möge seine Frau mitbringen, wenn es möglich ist.«
Der Mann salutierte und lief in die Wachstube, um seine Männer zu rufen. Ich fasste Adelas Hand, und wir stiegen zu meinem Quartier auf der obersten Ebene des Hauptgebäudes empor. Es war nicht sonderlich groß, hatte jedoch einen geräumigen Tagesraum mit Fenster zum Innenhof, zwei Schlafgemächer und eine Ankleidekammer. Ein Stockwerk tiefer lagen die weitaus umfangreicheren Räumlichkeiten des Grafen. Aber Bertran ließ sich nur selten hier blicken. Es gefiel ihm wohl nicht auf der Burg seines Vaters. Er hatte den Palast der Banu Ammar, der vormaligen Herrscherfamilie der Stadt, ausbessern lassen und sich dort mit Familie und Hofstaat eingerichtet.
Adela schien immer noch wie versteinert nach dem grausigen Anblick der Leiche. Den Becher mit Wasser, den ich ihr brachte, leerte sie ohne ein Wort. So still und in sich gekehrt wie in diesem Augenblick hatte ich sie seit Nouras Tod nicht mehr erlebt, die Augen ausdruckslos, als wolle sie jeden Blick in ihre Seele verwehren. Noura hätte sie aufzumuntern gewusst. Ich aber war ratlos.
Es klopfte, und dann trat die massige Gestalt Arnauds in das Gemach. Hinter ihm folgte Euthalia, sein Weib. Arnaud war Waffenmeister und Ausbilder der Burgbesatzung. Er war Normanne und wie viele seiner Landsleute hochgewachsen, dazu stark wie ein Ochse. Er hatte ruhige, aber durchdringende blaue Augen. Weiß Gott, was ihn ursprünglich zu den Warägern nach Byzanz verschlagen hatte. Als wir auf unserem Pilgerzug ins Heilige Land wochenlang in Konstantinopel weilten, hatte er sich uns angeschlossen. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann war Euthalia, eine Byzantinerin aus Konstantinopel, dunkelhaarig, klein und rundlich. Sie hatte matte Haut, dunkle, verschmitzte Augen und ein breites Lächeln. Trotz ihrer Gegensätze waren sich beide sehr zugetan, und als Beweis hatten sie sechs gesunde Kinder vorzuweisen, die Euthalia mit Liebe, aber fester Hand regierte.
Arnaud räusperte sich verlegen. »Jaufré …« Er suchte nach Worten. Arnaud tat sich schwer, Gefühle in Worte zu kleiden, und war erleichtert, als Euthalia ihm die Hand auf den Arm legte und selbst das Wort ergriff.
»Wir haben die schreckliche Nachricht vernommen.« Sie sprach unsere
lenga romana,
wenn auch mit einer grauenvollen Aussprache. Doch ihre Warmherzigkeit ließ dies sofort vergessen. »Ihr Armen müsst in einem Zustand sein …« Ihr Blick fiel auf Adela, und sofort lief sie zu ihr und wiegte das Kind an ihrem Busen. Adela schlang schluchzend die Arme um sie, woraufhin Euthalia mir einen beruhigenden Blick zuwarf, so als müsse ich mir keine Sorgen machen. Sie würde sich um alles kümmern. Meine stumme Bitte hatte sie gleich verstanden.
»Du wirst bei Euthalia schlafen, Tochter.« Eigentlich hatte es nicht wie ein Befehl klingen sollen.
»Du schickst mich weg?«, schniefte sie.
»Natürlich nicht. Aber Euthalia wird sich fürs Erste um dich kümmern. Es ist besser
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