Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
Vom Netzwerk:
die Leidenschaft des Fleisches, die wenig brauchte, um sich zu entzünden, ganz gleich, ob wir zuvor gehadert hatten.
    Ich griff nach ihrer kalten Hand. Den Leib konnte ich noch berühren, doch die Seele war entflohen. Ihr Lächeln, ihre Gedanken … nichts mehr. Nie mehr würden wir mit verschlungenen Gliedern liegen, niemals mehr würde ich ihre Küsse spüren noch im Duft unserer Liebe schwelgen.
    Lange starrte ich in die Flammen. Da blies ein Windstoß durch die Vorhänge, Schatten tanzten an den Wänden. Waren es wirklich die bleichen Gestalten von Erschlagenen, Gesichter mit vorwurfsvollen Augen und anklagenden Mündern? Waren sie endlich gekommen, mich zu richten? Hatten sie mir deshalb mein Weib genommen? Das Gekeife der alten Hexe begleitete den Tanz um Nouras Leichnam, ihr Gelächter schwoll unerträglich an und übertönte das Wehklagen der Toten. Die Kammer drehte sich um mich, bis ich aufschreckte, mich auf die Knie warf und inbrünstig zur Jungfrau Maria betete.
    ***
    Ich fuhr hoch, als Hamid mich an der Schulter rüttelte. Schädel und Nacken schmerzten, mein linker Arm war wie taub. Es war heller Tag, und Bauern aus dem Dorf waren gekommen, um die Toten abzuholen. In ihren besten Gewändern standen sie verlegen im Hof neben einem Ochsenkarren. Auch der Priester war dabei. Er war noch jung und trat zögerlich einen Schritt vor. Georgios, so hieße er. Ich gab ihm die Hand. Er sprach ein paar Brocken Latein. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich nichts über die kirchlichen Riten wusste, mit denen Noura aufgewachsen war.
    Mit unsicheren Händen füllte ich am Brunnen einen Krug mit Wasser und trat ins Haus, um mich zu waschen. Seit dem Hinterhalt im Libanon trug ich immer noch die gleichen Kleider, und sie stanken nach Schweiß und Blut. Ich riss mir alles vom Leibe, bis ich nackt war, und wusch mich fieberhaft, als wollte ich meine Schuld an ihrem Tod abwaschen. Doch da halfen weder Bimsstein noch Seife.
    In unordentlichen Haufen hatten die Plünderer verschmähte Kleider zurückgelassen, und so konnte ich ein reines Hemd überstreifen, Beinkleider und eine lose Tunika. Fibeln und goldbestickte Gürtel waren verschwunden. Aber ich fand noch einen einfachen Leibgurt und einen langen Mantel aus dunklem Tuch. Fertig gekleidet trat ich in den großen Hauptraum des Hauses.
    Adela stand am Fenster und sah hinaus, ohne sich umzudrehen. Die Frauen aus dem Dorf mussten sie angekleidet und ihr langes Haar gebunden haben, so schön wie das ihrer Mutter. Ich stellte mich hinter sie und legte meine Hände auf ihre Schultern. So verharrten wir einen langen Augenblick.
    »Warum wird Mutter im Dorf und nicht hier begraben?«
    »Es ist am besten so. Wir werden nicht bleiben können.«
    Vielleicht ahnte ich schon, dass wir ohne Noura nicht mehr hierhergehörten. Als sei mit ihrem Tod das Leben an diesem Ort zu einem jähen Ende gekommen. Adela blickte mit feuchten Augen zu mir auf.
    »Wohin gehen wir dann?«
    »Ich nehme dich mit auf die Festung. Dort bist du sicher.« Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber dann schien sie sich an die türkischen Reiter zu erinnern und nickte stumm. Der Schatten des Schreckens stand noch immer in ihren großen Augen. Gleich aber zogen sich ihre Brauen zornig zusammen.
    »Wann wirst du sie töten, Vater?«
    Wie konnte die Stimme eines Kindes so kalt und tonlos klingen? »Zuerst werden wir deine Mutter begraben.«
    »Ich habe gesehen, was sie getan haben. Sie haben den Tod verdient!«
    Ich zog sie an mich, um sie zu trösten, um ihr diese Gedanken zu nehmen. Unwillig machte sie sich frei.
    »Versprich es!«
    »Wir werden sehen.« Ich hatte nicht vor, Tod mit Tod zu vergelten. Es würde Noura nicht zum Leben erwecken.
    Adela ging hinaus, und ich folgte ihr. Sie bewegte sich steif wie eine dieser Gliederpuppen, die an Fäden hängen und auf Jahrmärkten gezeigt werden. Sie blinzelte in der Morgensonne, doch ich sah keine Tränen. Sie starrte zur Gruppe der Bauern hinüber und zu den in Tüchern gehüllten Leichen unter den Bäumen.
    »Der Priester wird sich um ihr Grab kümmern. Und sooft wir können, kommen wir sie besuchen.«
    »Ich möchte einen Rosenbusch pflanzen.«
    »Natürlich.«
    Adela schien zurückgezogen und fremd. Nach jedem Wort breitete sich wieder betretenes Schweigen zwischen uns aus.
    Die Bauern legten die Leichen in roh gezimmerte Särge. Sie luden sie auf den Ochsenkarren. Bei der Vorstellung meiner Noura auf einem rumpelnden Gefährt drehte sich mir der

Weitere Kostenlose Bücher