Der Bastard
Arbeit und Wetter kamen sie zum Wesentl i chen.
«Die Ergebnisse der Fruchtwasseruntersuchung sind da, und ich kann Sie beruhigen. Es ist alles in Ordnung.»
Pia atmete auf. Dr. Spindler zeigte Pia, wie das Ergebnis auf dem Papier aussah.
«Ich brauche Ihnen ja nicht zu erklären, wie das Ergebnis interpretiert wird. Diese Untersuchung kann nur etwaige Chromosomenschäden oder -anomalien aufd e cken.»
Pia nickte und warf nur einen flüchtigen Blick auf die Unterlagen, die Dr. Spindler ihr über den Tisch zugeschoben hatte. Sie wusste, dass daraus keine weiteren Erkenntnisse zu gewinnen waren. Die Fruchtwasseruntersuchung hatte sie vor allem gemacht, um auf alles vorbereitet zu sein. Sie war sich darüber bewusst, dass es eine Fülle von weiteren Krankheiten oder Komplikationen gab, über die diese Untersuchung ke i ne Auskunft geben konnte.
Gleich zu Beginn ihrer Schwangerschaft war eine Welle der Angst über sie hereingebrochen. Sie hatte sic h a lles Mögliche ausgemalt, was mit ihrem Kind geschehen konnte. Sie war nachts aufgewacht und hatte gefühlt, wie ihre Brust sich verkrampfte. Sie war kein ängstlicher Typ, um Probleme kümmerte sie sich dann, wenn sie auftauchten. Doch mit der Schwangerschaft war sie in eine Situation geraten, in der sie die Dinge nicht mehr in der Hand hatte. Es ging nicht mehr nur um sie. Natürlich gab es in i h rem Leben Menschen, um die sie sich sorgte und an denen ihr viel lag. Doch es waren ausnahmslos E r wachsene, fähig, für sich selbst zu sorgen oder zumindest die Verantwortung für ihr Tun zu tragen. Das konnte das Kind in ihrem Bauch nicht, und das würde für viele Jahre so bleiben. Das machte ihr Angst, es schnürte ihr die Luft ab.
Es hatte über einen Monat gedauert, bis sie gelernt hatte, mit dieser Angst zu leben und sie zu relativi e ren. Sie wollte ihr Kind nicht in Watte packen, und das Wissen über die Angst befähigte sie, sie in ihre Schranken zu weisen.
«Wahrscheinlich dauert es nicht mehr lange, und wir werden schon vor der Geburt wissen, wie die Kinder aussehen werden und ob sie eher musisch oder naturwissenschaftlich begabt sind», plauderte Dr. Spindler weiter , « aber darüber wissen Sie wohl mehr als ich.»
Pia war nicht ganz bei der Sache.
«Entschuldigung, über was weiß ich mehr?»
«Über Vererbung von Eigenschaften. Sie machen doch in der Rechtsmedizin DNA-Analysen, um Täter zu überführen oder Tote zu identifizieren. Zumi n dest im Fernsehen ist das so.»
Pia lachte. «Ja, schon, aber unsere DNA-Analyse n g eben keine Auskunft darüber, wer wie aussieht oder welche Talente noch unentdeckt sind. Wir arbeiten mit nichtcodierenden DNA-Sequenzen. Diese sagen nichts über das Aussehen und die Persönlichkeit s merkmale eines Menschen aus.»
Dr. Spindler zog die Augenbrauen in die Höhe.
«Das ist mir neu. Wie wird dann eine Übereinstimmung festgestellt?»
«Wir schauen, wie oft sich bestimmte Basensequenzen wiederholen.»
«Das reicht?»
«Es ist sehr aussagekräftig. Mutationen in diesen Bereichen werden weitervererbt und sind dadurch bei jedem Menschen speziell.»
«Wie stellen Sie dann Verwandtschaften fest, zum Beispiel Vaterschaften?»
«Dazu untersuchen wir die möglichen Genvaria n ten, die Allele. Wie Sie wissen, haben die meisten Gene zwei Allelvarianten, eine erben wir vom Vater, eine von der Mutter.»
«Deshalb hat mein Sohn grüne Augen, obwohl mein Mann und ich beide braune haben.»
Pia lachte und bejahte. «Nur dass es bei der Augenfarbe etwas komplizierter ist.»
«Vielen Dank. Nun haben Sie bei mir eine Wissenslücke geschlossen.» Dr. Spindler stand auf, Pia tat es ihr nach.
«Ist es nicht eine große Versuchung, seine eigenen Gene zu untersuchen?»
Pia grinste. «Wieso Versuchung? Das war eine der ersten DNA-Analysen, die ich durchgeführt habe. Abe r g lauben Sie mir, so viel gibt es da nicht zu en t decken. Zumindest noch nicht. Sie erfahren, ob Sie typische Allele, zum Beispiel das Allel 9 . 3 , aufweisen. Doch letztlich sagt das nichts aus, außer dass es für einen Laboranten ein Leichtes wäre, Sie aufgrund der DNA-Analyse eines Verbrechens zu überführen.»
Pia zog ihre Jacke an, gab Dr. Spindler die Hand und vereinbarte den nächsten Untersuchungstermin. Dazu wollte sie Kilian mitnehmen. Er sollte auch sein Kind auf dem Ultraschall-Bildschirm sehen. Es fiel ihr ein, als sie aus dem Gebäude trat. Das Allel 9 . 3 hatte sie heute schon einmal gesehen.
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Die Beschreibung, die die Frau von den fünf
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