Der Bastard
nichts einzuwenden. Aber kann ich nicht von den Menschen, die zu uns ko m men, erwarten, dass sie sich an unsere Kultur und Gesetze halten? Das Gleiche erwarten sie doch auch von mir, wenn ich in ihre Länder reise. Mittlerweile ist es aber so weit gekommen, dass ich als Ausländerhasser abgestempelt werde, wenn ich sie zur Or d nung rufe. Eine Besinnung auf unsere Werte wird gleichgesetzt mit Borniertheit und dem Ewiggestr i gen. Davon habe ich die Schnauze voll. Unsere Gesetze und Wertmaßstäbe haben für alle zu gelten.»
«Okay, da stimme ich dir zu. Aber was bieten wir den Neuankömmlingen an, damit sie sich hier heimisch fühlen? Ich habe den Eindruck, dass wir sie in eine Ecke stellen und ihnen sagen, dass sie selbst schauen sollen, wie sie zurechtkommen. Etwas mehr Unterstützung täte ihnen und uns nicht schlecht.»
«Bekommen Deutsche, die auswandern, dort die gleiche Unterstützung, wie du sie hier verlangst? Und wer soll das bezahlen?»
«Dafür schimpfen wir uns ja Kulturland, das auf humanistischen Werten aufgebaut ist.»
«Du siehst ja, wie es uns gedankt wird, dass wir sie bei uns aufnehmen. Selbst in Würzburg gibt es E cken, an denen man sich nachts nicht mehr sicher sein kann.»
«In Würzburg gibt es No-go-Areas?»
«Wiederhole dieses Wort bloß nicht in der Öffentlichkeit.»
«Wieso nicht?»
«Das wirst du dann sehen, wenn du aus dem Rathaus einen Anruf bekommst. Wir sind eine Tourismusmetropole und Universitätsstadt. Stell dir nur mal vor, in irgend so einem Reiseführer steht auf einmal: Würzburg -Z ellerau sollten Sie nachts me i den. Sie könnten dort leicht eine auf die Schnauze kriegen, wenn Sie die falsche Hautfarbe haben. Das Aberwitzige daran ist, dass die, die zuschlagen, selbst nicht von hier kommen.»
Etwa hundert Meter vor ihnen tat sich etwas. Eine Gruppe Jugendlicher kam hinter einer Häuserecke hervor. Einige hatten Bierflaschen in der Hand, and e re ließen sie gegen ein Vorfahrtsschild fliegen.
«Das sind sie», sagte Heinlein.
Sie stiegen aus und näherten sich der Gruppe von beiden Straßenseiten aus.
Als ob sie Polizisten wittern konnten, erregte Heinlein bei den zweifellos alkoholisierten Jungen sofort Aufmerksamkeit. Doch anstatt zu fliehen, rechneten sie sich gute Chancen gegen diesen einen Bullen aus, der auf sie zukam. Kilian auf der anderen Seite b e merkten sie jedoch nicht.
Heinlein näherte sich ihnen furcht- und ahnung s los . « Kommt mal her, ich hab mit euch zu reden.»
Der ersten Bierflasche konnte er noch ausweichen, die zweite erwischte ihn am Kopf, gefolgt von zahlreichen Fußtritten und wüsten Beschimpfungen.
Kilian rannte über die Straße und warf sich in das Getümmel.
10
Z urück in der Gerichtsmedizin, begab sich Pia zunächst in ihr Büro. Sie holte die Ergebnisse der DNA-Analyse des toten Jungen und fand ihre Erinnerung bestätigt.
Da stand es schwarz auf weiß: 9 . 3 .
Diese Zahl bezeichnete die Variante eines Gens, die Pia selbst hatte. Sie ging in ihr Büro und begann, aus dem obersten Fach des Regals nach einem ganz bestimmten Ordner zu suchen. Hier bewahrte sie a l te Studienunterlagen und persönliche Projekte auf. Die erste DNA-Analyse hatte Pia mit Material von sich selbst durchgeführt.
Sie fand endlich den Ordner, stieg vom Stuhl und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie musste nicht lange blättern. Ohnehin hatte sie es längst gewusst: 9 . 3 .
Sie blätterte weiter. Geerbt hatte sie dieses Allel von ihrer Mutter, ihre Schwester Anna ebenfalls. Was für ein Zufall, dachte sie. Es war Unsinn, das wusste sie genau, aber dennoch fühlte sie sich durch die Tatsache, dass sie und der Junge dieses Allel teilten, mit ihm seltsam verbunden. Als hätte sie dadurch eine besondere Verantwortung, die über das normale Engagement, das von ihr erwartet wurde, hinausging.
Allerdings war das Allel nicht gerade selten, 30 Prozent aller Mitteleuropäer trugen es. Sie stutzte. Der tot e J unge war kein Mitteleuropäer. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Angehörige einer anderen ethnischen Gruppe dieses Allel aufwies, war deutlich geringer. Aber auch nicht unmöglich. Wenn sie e t was Zeit hätte, würde sie in einer der Datenbanken recherchieren, wie oft dieses Allel bei Afrikanern vorkam.
Sie blätterte weiter in dem Ordner. Er enthielt alle möglichen genetischen Untersuchungen, die man innerhalb einer Familie anstellen konnte. Die meisten Untersuchungen hatte Pia zu Übungszwecken durchgeführt. Anna hatte sie einmal in der
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