Der Bauch von Paris - 3
und die Beine wie zerschlagen, ging er die Höhe hinunter. Als er den Pont de Neuilly überquerte, lehnte er sich auf das Geländer, beugte sich über die Seine, die tintenschwarze Wogen zwischen den dichten Massen der Ufer dahinwälzte; eine rote Schiffslaterne über dem Wasser sah ihn mit blutendem Auge nach. Jetzt mußte er bergauf, um Paris ganz da oben zu erreichen. Unermeßlich erschien ihm die Straße. Die Hunderte von Meilen, die er zurückgelegt hatte, waren nichts; dieses Wegstück brachte ihn zur Verzweiflung. Niemals würde er diesen von jenen Lichtern gekrönten Gipfel erreichen. Glatt dehnte sich die Straße mit ihren Reihen großer Bäume und niedriger Häuser, den breiten, grauen, vom Schatten der Zweige gefleckten Bürgersteigen, den düsteren Löchern der Querstraßen, all ihrer Stille und all ihrer Finsternis; und allein die in regelmäßigen Abständen aufgereckten Gaslaternen belebten mit ihren kurzen gelben Flämmchen diese Öde des Todes. Florent kam nicht mehr von der Stelle; die Straße wurde immer länger und rückte Paris weiter zurück in die Tiefe der Nacht. Es schien ihm, als liefen die Gaslaternen mit ihrem einen Auge rechts und links davon und trügen die Straße mit fort. Er taumelte in diesem Wirbel; wie eine leblose Masse sackte er auf dem Pflaster zusammen.
Jetzt rollte er sanft auf diesem Lager von Grünzeug dahin, das ihm weich wie Federn vorkam. Er hatte das Kinn ein wenig gehoben, um den leuchtenden, immer mehr zunehmenden Dunst über den schwarzen Dächern zu sehen, die er am Horizont ahnte. Er kam an, er wurde getragen, er brauchte sich nur den langsamer werdenden Stößen des Wagens zu überlassen, und bei diesem mühelosen Näherkommen litt er nur noch unter dem Hunger. Der Hunger war wieder erwacht, unerträglich, grausam. Seine Glieder schliefen; er spürte nur, wie sich sein Magen um und um drehte und wie von glühenden Zangen zerrissen wurde. Der frische Duft des Gemüses, in das er versunken war, dieser scharfe Geruch der Möhren ließ ihn fast ohnmächtig werden. Mit aller Kraft preßte er die Brust gegen dieses tiefe Bett von Nahrung, um seinen Magen abzuschnüren, um ihn am Schreien zu hindern. Und hinter ihm die neun anderen Fuhrwerke mit ihren Bergen von Kohl, ihren Bergen von Schoten, ihren Haufen von Artischocken, Salat, Sellerie und Porree schienen langsam auf ihn zuzurollen und ihn in seinem Ringen mit dem Hungertode wie unter einer Lawine von Fraß begraben zu wollen.
Plötzlich gab es einen Aufenthalt, ein Lärmen grober Stimmen: das war der Schlagbaum. Die Zollbeamten untersuchten die Wagen.
Dann zog Florent auf den Rüben in Paris ein, seiner Sinne nicht mächtig, die Zähne zusammengepreßt.
»He! Sie, Mann, da oben!« schrie Frau François barsch. Und da er sich nicht rührte, stieg sie hinauf und rüttelte ihn.
Florent setzte sich auf. Er hatte geschlafen und spürte seinen Hunger nicht mehr; er war völlig abgestumpft.
Die Gemüsebäuerin ließ ihn herunterkommen und sagte zu ihm: »Sie werden mir abladen helfen, ja?«
Er half ihr.
Ein dicker Mann mit Stock und Filzhut, der am linken Mantelaufschlag ein Schildchen trug, wurde ungehalten und stieß mit der Spitze seines Stocks auf den Bürgersteig.
»Los doch, los doch! Ein bißchen schneller! Lassen Sie den Wagen vorfahren … Wie viele Meter haben Sie? Vier, nicht wahr?« Er händigte Frau François, die ein paar Zweisousstücke aus einem kleinen Leinenbeutel hervorholte, einen Schein aus und ging etwas weiter, um dort ungehalten zu werden und mit dem Stock aufzustoßen.
Die Gemüsebäuerin hatte Balthasar am Zaum genommen, ihn zurückgedrängt und den Wagen mit den Rädern dicht an den Bürgersteig geschoben. Nachdem sie ihre vier Meter auf dem Bürgersteig mit Strohbüscheln abgesteckt hatte, hob sie das Brett hinten am Wagen heraus und bat dann Florent, ihr das Gemüse Bund für Bund zuzureichen. Sie stapelte es ordentlich auf dem Pflaster, putzte die Ware, verteilte die Blätter so, daß ein Streifen Grün die Haufen umrahmte, und richtete mit einzigartiger Behendigkeit eine ganze Auslage her, die im Dunkeln einer Stickerei mit symmetrisch verteilten Farben glich. Als ihr Florent ein großes Bund Petersilie reichte, das er hinten gefunden hatte, bat sie ihn um noch einen Gefallen.
»Es wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie auf meine Ware aufpassen würden, während ich den Wagen unterstellen gehe … Es sind zwei Schritt von hier, im ›Compas d’Or‹4 in der Rue Montorgueil.«
Er
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