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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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und die Häuser bei der Getreidehalle abreißen. Kannten Sie das alles schon?«
    »Nein«, antwortete Florent. »Ich war im Ausland … Und diese große Straße, die hier vor uns, wie heißt die?«
    »Das ist eine neue Straße, die Rue du PontNeuf, die von der Seine ausgeht und bis hierher, bis zur Rue Montmartre und zur Rue Montorgueil, führt … Wenn es Tag wäre, würden Sie sich gleich zurechtfinden.« Sie stand auf, weil sie eine Frau sah, die sich über ihre Kohlrüben beugte. »Ach, Sie sind es, Mutter Chantemesse?« sagte sie freundlich.
    Florent blickte die Rue Montorgueil hinunter. Dort war es, wo ihn in der Nacht vom 4. Dezember ein Trupp Schutzleute festgenommen hatte. Er war gegen zwei Uhr den Boulevard Montmartre mitten in der Menge gemächlich hinuntergegangen und hatte über alle diese Soldaten gelächelt, die das Elysée6 auf der Straße herumspazieren ließ, damit man es ernst nehme, als plötzlich die Soldaten rücksichtslos innerhalb einer Viertelstunde die Straße räumten. Gestoßen und zu Boden geworfen, fiel er an der Ecke der Rue Vivienne hin; und er wußte nichts mehr. In entsetzlicher Angst vor den Schüssen stürzte die wahnsinnig gewordene Menge über ihn hinweg. Als er nichts mehr hörte, wollte er sich aufrichten. Auf ihm lag eine junge Frau mit einem rosa Hütchen, deren Schal herabgeglitten war und ein in kleine Falten gelegtes Brusttuch sehen ließ. Oberhalb des Busens hatten zwei Kugeln das Brusttuch durchschlagen; und als er sanft die junge Frau wegschob, um seine Beine freizubekommen, flossen aus den Löchern zwei dünne Fäden Blut auf seine Hände. Da sprang er mit einem Satz auf und lief wie besessen ohne Hut und mit nassen Händen davon. Bis zum Abend streifte er kopflos umher und sah immerzu die junge Frau quer über seinen Beinen liegen mit ihrem ganz bleichen Gesicht, ihren großen blauen offenen Augen, ihren schmerzlichen Lippen und ihrem Erstaunen, so schnell gestorben zu sein. Er war schüchtern; mit dreißig Jahren wagte er nicht, Frauen ins Gesicht zu sehen, und bewahrte diese hier für sein Leben in seinem Gedächtnis und seinem Herzen. Es war gleichsam eine Frau, die ihm gehörte und die er verloren hatte. Am Abend fand er sich, ohne zu wissen wie, noch erschüttert von den schrecklichen Ereignissen des Nachmittags, in der Rue Montorgueil, in einem Weinausschank, wo Männer tranken und dabei vom Barrikadenbauen sprachen. Er ging mit ihnen, half ein paar Pflastersteine herausreißen und setzte sich, müde vom Herumlaufen in den Straßen, auf die Barrikade und sagte sich, daß er kämpfen würde, wenn die Soldaten kommen sollten. Er hatte nicht einmal ein Messer bei sich und war noch immer barhäuptig. Gegen elf Uhr schlummerte er ein; er sah in dem weißen Brusttuch mit den kleinen Falten die beiden Löcher, die ihn wie zwei rote Augen voller Tränen und Blut anschauten. Als er aufwachte, hielten ihn vier Schutzleute fest, die ihm Faustschläge versetzten. Die Männer von der Barrikade hatten die Flucht ergriffen. Die Schutzleute aber wurden wütend und hätten ihn beinahe erwürgt, als sie gewahrten, daß er Blut an den Händen hatte. Es war das Blut der jungen Frau.
    Erfüllt von diesen Erinnerungen blickte Florent zu dem beleuchteten Zifferblatt der Kirche SaintEustache empor, ohne überhaupt die Zeiger zu sehen. Es war fast vier Uhr. Die Hallen schliefen noch immer. Frau François schwatzte im Stehen mit Mutter Chantemesse und handelte um den Preis für das Bund Kohlrüben. Und Florent entsann sich, daß man ihn dort an der Mauer von SaintEustache beinahe erschossen hätte. Ein Zug Gendarmen hatte dort gerade fünf Unglücklichen, die auf einer Barrikade in der Rue Grenéta gefaßt worden waren, die Schädel zerschmettert. Die fünf Leichen lagen auf dem Bürgersteig, an einer Stelle, wo er heute Haufen rosiger Radieschen zu sehen glaubte. Er entging der Erschießung, weil die Schutzleute nur Säbel hatten. Man brachte ihn zu einer Polizeiwache in der Nähe und hinterließ dem Reviervorsteher einen Zettel, auf dem mit Bleistift die Worte: »Festgenommen mit blutigen Händen. Sehr gefährlich!« geschrieben waren. Bis zum Morgen wurde er von Wache zu Wache geschleppt. Der Zettel begleitete ihn. Man hatte ihm Handschellen angelegt und bewachte ihn wie einen Tobsüchtigen. Auf der Wache in der Rue de la Lingerie wollten ihn betrunkene Soldaten erschießen; sie hatten schon die Laterne angezündet, als der Befehl kam, die Gefangenen zum Depot der Polizeipräfektur zu

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