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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Markthallen.
    Hinter ihm wurde auf dem Pflaster der Rue Rambuteau Obst verkauft. Reihen von Körben mit und ohne Henkel standen ausgerichtet da, mit Stroh oder Leinwand zugedeckt; und es roch nach überreifen Mirabellen. Eine sanfte und ruhige Stimme, die er schon eine Weile hörte, ließ ihn den Kopf wenden. Er erblickte eine entzückende kleine brünette Frau, die auf der Erde saß und feilschte.
    »Nun sag schon, Marcel, verkaufst du’s für hundert Sous?«
    Der in seinen Mantel vergrabene Mann gab keine Antwort, und nach fünf langen Minuten begann die junge Frau wieder:
    »Also, Marcel, hundert Sous für diesen Korb hier und vier Francs für den andern macht zusammen neun Francs, die du zu bekommen hast?«
    Erneut trat Schweigen ein.
    »Was hast du nun also zu bekommen?«
    »Ach was! Zehn Francs! Du weißt es doch; ich habe es dir bereits gesagt … Und dein Jules, was machst du mit ihm, Sarriette?«
    Die junge Frau lachte auf und holte eine große Handvoll Geld hervor.
    »Ach!« entgegnete sie. »Der schläft bis in den hellichten Tag … Er behauptet, daß die Männer nicht zum Arbeiten geschaffen sind.« Sie bezahlte und trug die beiden Körbe in die Obsthalle, die eben geöffnet wurde.
    Die Markthallen bewahrten ihre schwarze Schwerelosigkeit mit den tausend Flammenstreifen der Jalousien; Leute zogen durch die breiten, überdachten Straßen, während die weiter entfernten Hallen inmitten des zunehmenden Gewimmels auf den Bürgersteigen menschenleer blieben. An der Pointe SaintEustache nahmen die Bäcker und Weinhändler ihre Fensterläden ab; längs der grauen Häuser wirkten die roten Kaufläden mit ihren brennenden Gaslampen wie Löcher in der Finsternis. Florent betrachtete links in der Rue Montorgueil eine Bäckerei, die ganz angefüllt und ganz vergoldet war mit frischem Gebäck, und er glaubte geradezu den guten Duft des warmen Brotes zu spüren. Es war halb fünf.
    Inzwischen war Frau François ihre Ware losgeworden. Es blieben ihr noch einige Bund Möhren, als Lacaille mit seinem Sack wieder erschien.
    »Na, geht es für einen Sou?« fragte er.
    »Ich war sicher, daß Sie noch einmal zurückkommen«, antwortete die Frau ruhig. »Also nehmen Sie meinen Rest. Es sind siebzehn Bund.«
    »Das macht siebzehn Sous?«
    »Nein, vierunddreißig.«
    Sie einigten sich auf fünfundzwanzig. Frau François wollte nach Hause. Als sich Lacaille mit den Möhren in seinem Sack entfernt hatte, sagte sie zu Florent:
    »Sehen Sie, er hat mir aufgelauert. Auf dem ganzen Markt feilscht er herum, ohne etwas zu kaufen; manchmal wartet er bis zum letzten Glockenschlag, um für vier Sous Ware zu erstehen … Ach, diese Pariser! Die streiten sich wegen eines halben Sous und gehen dann zum Weinausschank ihr ganzes Geld versaufen.«
    Wenn Frau François über Paris sprach, war sie voller Spott und Geringschätzung; sie behandelte es als eine weit entlegene, durch und durch lächerliche und verachtungswürdige Stadt, in die sie nur nachts den Fuß zu setzen gesonnen war.
    »Jetzt kann ich fortgehen«, redete sie weiter und setzte sich wieder neben Florent auf das Gemüse einer Nachbarin.
    Florent senkte den Kopf, er hatte eben einen Diebstahl verübt. Als Lacaille davongegangen war, hatte er auf dem Erdboden eine Möhre liegen sehen. Er hatte sie aufgehoben und hielt sie in seiner rechten Hand umklammert. Hinter ihm verströmten Selleriebündel und Petersilienhaufen verwirrende Gerüche, die ihn an der Kehle packten.
    »Ich werde jetzt gehen«, wiederholte Frau François.
    Sie nahm Anteil an diesem Unbekannten; sie fühlte, wie er litt auf diesem Bürgersteig, von dem er sich nicht weggerührt hatte. Sie bot ihm von neuem ihre Hilfe an, aber er lehnte wieder ab mit noch starrerem Stolz als vorher. Er stand sogar auf, hielt sich gerade, um zu beweisen, daß er munter und guter Dinge war. Und als sie den Kopf wandte, steckte er die Möhre in den Mund. Aber er mußte sie einen Augenblick still halten, trotz des schrecklichen Verlangens, mit den Zähnen zuzubeißen; die Bäuerin blickte ihm wieder ins Gesicht und stellte ihm mit der Neugierde einer biederen Frau Fragen. Um nicht zu sprechen, antwortete er mit Kopfbewegungen. Dann aß er vorsichtig und langsam die Möhre.
    Die Gemüsebäuerin schickte sich entschieden an aufzubrechen, als dicht neben ihr eine laute Stimme sagte:
    »Guten Morgen, Madame François.«
    Es war ein dürrer, bärtiger Bursche mit groben Knochen, einem mächtigen Kopf, feiner Nase und kleinen hellen Augen.

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