Der Baum des Lebens
arbeitest und welche Ergebnisse aus unserer Zusammenarbeit zu erwarten sind. Es hat also wenig Sinn, wenn du lügst. Wenn wir weg sind, wird dein Bauernhof ständig überwacht. Solltest du auf den unheilvollen Gedanken kommen und dich an die Ordnungshüter wenden, werden diese hirnlose Tat weder du noch deine Angehörigen überleben. Dein Todeskampf wird in dem Fall lange dauern, sehr lange sogar, und deine Frau würde einen besonders grausamen Tod sterben…« Schiefmaul klopfte dem Bauern kumpelhaft auf die Schulter. »So, und jetzt essen und trinken wir erst mal was, um unsere Übereinkunft zu besiegeln!«
Ursprünglich wollte Schiefmaul seine Opfer umbringen und ihre Häuser zerstören, hatte dann aber eine viel bessere Idee: nämlich Erpressung und Ausbeutung. Ließe er eine Spur von Leichen und Ruinen hinter sich, mussten die Behörden früher oder später auf ihn aufmerksam werden; trieb er aber stattdessen viel Geld von seinen zum Schweigen verurteilten »Schützlingen« ein, konnte er unbemerkt bleiben und ausgezeichnete Geschäfte machen.
Der Prophet würde bald sehr stolz auf ihn sein.
Shab der Krumme war von Memphis begeistert. Der Hafen, der Markt, die Verkaufsstände, die Arbeiterviertel und die Straßen, in denen es nur so von Ägyptern und Fremden wimmelte – all das gefiel ihm außerordentlich. Die Tage kamen ihm viel zu kurz vor, wahrscheinlich würde er Monate, wenn nicht sogar Jahre brauchen, um die zahllosen Reize dieser lebhaften Hauptstadt kennen zu lernen, die nie schlief.
Dem Propheten war dieser ganze Trubel scheinbar gleichgültig. Er bewegte sich so unauffällig zwischen all diesen Menschen, dass ihn niemand beachtete. Dank seiner Überredungskunst hatte er schnell eine einfache Wohnung gefunden, die hinter einem bereits seit mehreren Wochen geschlossenen Laden lag.
»Wir werden jetzt anständige Kaufleute«, sagte der Prophet zu seiner kleinen Mannschaft, »und wir machen uns im Viertel beliebt. Mischt euch unter die Einwohner von Memphis, nehmt euch Geliebte und verkehrt in den Wirtsstuben.«
Natürlich gefiel dieses Programm den Betroffenen, die nun erst einmal die Räumlichkeiten putzten und mit Matten, Körben und Regalen ausstatteten.
Der Prophet nahm Shab mit zum Hafen.
Plötzlich hörte man überall in der Stadt Freudenschreie, und die Straßen füllten sich mit einer lärmenden Menge, die Lieder zu Ehren von Sesostris anstimmte.
Der Prophet wandte sich an einen älteren Mann, der nicht ganz so aus dem Häuschen war wie seine Mitbürger.
»Was ist denn hier los?«
»Wir befürchteten eine unzureichende Schwemme, aber der Pharao hat sich mit dem Geist des Nils versöhnt. Ägypten wird Wasser im Überfluss haben, das Gespenst einer drohenden Hungersnot ist beseitigt.«
Überglücklich gesellte sich der Mann wieder zu den anderen Feiernden.
»Das sind schlechte Neuigkeiten«, gab der Prophet zu. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sesostris das heilige Gebiet von Biggeh betreten und sich bis zu den verborgenen Nilquellen wagen würde.«
»Und Ihr… Wart Ihr etwa dort unten?«, fragte Shab verwundert.
»Als die fünf Opfertische für die letzten fünf Tage des Jahres geschändet waren, war der Energiefluss unterbrochen. Aber dieser Monarch hatte den Mut, die Hindernisse zu überwinden und wieder Ordnung in die Unordnung zu bringen. Er ist ein schwieriger Gegner, der sich nicht leicht bezwingen lassen wird. Aber dadurch wird unser Sieg nur umso schöner.«
Shab der Krumme bekam es mit der Angst. Angst vor diesem Menschen, der eigentlich gar kein Mensch war, wenn man seine vielen übernatürlichen Kräfte bedachte. Nichts, nicht einmal das Allerheiligste, konnte ihn noch aufhalten.
Als würde er sich in Memphis wie in seiner eigenen Hosentasche auskennen, begab sich der Prophet hinter dem Hafen in ein Gewirr von kleinen Gassen und klopfte schließlich viermal hintereinander an der kleinen Tür eines baufälligen Hauses.
Man antwortete ihm mit einmaligem Klopfen. Daraufhin klopfte der Prophet noch zweimal sehr schnell hintereinander.
Die Tür öffnete sich.
Um den großen Raum mit dem nackten Boden betreten zu können, mussten der Prophet und sein Schüler sich bücken.
Drei bärtige Männer verneigten sich vor ihrem Herrn.
»Gott sei Dank, Herr, Ihr seid also gesund und munter!«, sagte einer von ihnen.
»Nichts und niemand kann mich daran hindern, meine Aufgabe auszuführen. Wenn ihr mir nur vertraut, werden wir siegen.«
Dann setzten sich alle auf den
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