Der Baum des Lebens
Schlangengau, erwartet wurden.
Der alte Mann erhob sich und verbeugte sich.
»Wenn ich Euren Schiffsverband nicht zerstört habe«, erklärte Sarenput, »dann nur wegen meines hier anwesenden Freundes. Er ist überzeugt, dass Ihr ein großes Unglück abwenden wollt. Außerdem hat er mich gebeten, Eure Bemühungen um eine ausreichende Schwemme nicht zu stören.«
»Da hat er Recht, Sarenput.«
»Darf ich offen sein, Majestät? Diese Argumente sind doch nur vorgeschoben! In Wahrheit seid Ihr gekommen, um meine Provinz zu unterjochen.«
»Mit zwanzig leichten Schiffen?«
Sarenput war verwirrt. »Zugegeben, das ist wenig, aber…«
»Kommen wir zum Wesentlichen, zu Maat, der ewigen Regel des Lebens. Sie ist die Schöpferin der Weltenordnung und der Jahreszeiten, der Gerechtigkeit und des Rechts, der guten Regierung und der verträglichen Wirtschaftsweise. Dank Maat erlauben unsere Riten den göttlichen Kräften, auf unserer Erde zu bleiben. Wer Maat achtet, muss in Gedanken, Worten und Werken aufrichtig sein. Trifft das für dich zu, Sarenput?«
»Wie könnt Ihr daran zweifeln, Majestät?«
»Wenn es so ist, dann schwöre beim Leben des Pharaos, dass du nichts mit dem Verbrechen zu tun hast, das der Akazie des Osiris in Abydos zugefügt wurde.«
Das Entsetzen des Provinzfürsten wirkte sehr überzeugend. »Was geschieht dort unten?«
»Ein böser Zauber will dieses Land vernichten, die Akazie droht einzugehen. Das könnte dazu führen, dass es uns an der lebensnotwendigen Flüssigkeit fehlt, die Osiris uns schenkt, und dass dem ganzen Land eine Hungersnot droht. Hier auf Elephantine entspringt die geheime Quelle des Nils. Und hier ruht auch eine der Gestalten des Osiris. Und mit Sicherheit wurde hier sein Friede gestört, um das segensreiche Wirken der Nilschwemme zu verhindern.«
Die Worte des Monarchen erschütterten Sarenput, der sich jedoch weigerte, an sie zu glauben. »Ausgeschlossen, Majestät! Niemand wagt es, das Gelände von Biggeh zu betreten, kein Mensch hat dort Zutritt. Meine Soldaten sind zuverlässige Wächter, ihnen entgeht ganz sicher nichts.«
»Ich bin aber vom Gegenteil überzeugt. Es ist meine Aufgabe, den Energiefluss wiederherzustellen, der unterbrochen wurde. Lass mich auf die Insel.«
»Die Hüter aus dem Jenseits werden Euch zerschmettern!«
»Das Wagnis gehe ich ein.«
Nachdem Sarenput einsehen musste, dass dieser König niemals nachgeben würde, erklärte er sich bereit, mit ihm und Uakha nach Biggeh aufzubrechen. Als sie die Insel Sehel mit den riesigen Granitbrüchen auf der gegenüberliegenden Seite passiert hatten, blieb der Provinzfürst am Fuße des Ersten Katarakts stehen, der um diese Jahreszeit ein unüberwindliches Chaos aus Steinen und Felsbrocken war. An dieser Stelle begann ein Saumpfad, der mit einer Mauer befestigt war. Er verband die beiden Bootsanlegestellen am äußersten nördlichen und südlichen Ende des Wasserfalls.
»Was könnte wirkungsvoller sein als dieses Hindernis, um die Waren zu prüfen, die aus Nubien zu uns kommen«, erklärte Sarenput nicht ohne Stolz. »Die Steuern, die meine Zöllner dafür erheben, tragen zum Reichtum der gesamten Gegend bei.«
Als der geschwätzige Fürst erkannte, dass der Pharao viel zu sehr mit seinem Vorhaben beschäftigt war, als dass er sich um derartige Einzelheiten gekümmert hätte, schwieg er beleidigt.
Mit einem kleinen Schiff legten sie die kurze Strecke zwischen dem Ufer und der verbotenen Insel zurück.
»Darf ich Euch noch einmal dringend von diesem gefährlichen Vorhaben abraten, Majestät?«
»Ich sehe keinen von deinen Soldaten.«
»Sie überwachen den Saumpfad, die Zollstellen, den…«
»Aber nicht Biggeh selbst.«
»Wer würde es wagen, einen Fuß auf den heiligen Boden des Osiris zu setzen?«
»Die Akazie von Abydos hat man jedenfalls angegriffen.«
Das Boot legte an.
Eine seltsame Stille lag über dem heiligen Ort. Nichts war zu hören, keine Vogelstimme, nicht einmal ein Windhauch. Der König verschwand in einem Labyrinth aus Akazien, Jujuben und Tamarisken.
»Sollte es Sesostris gelingen, für die große Nilschwemme zu sorgen, die wir brauchen, werde ich sein getreuer Diener«, schwor Sarenput.
»Ich erinnere dich beizeiten an dein Versprechen«, sagte Uakha.
In dem Blätterwerk versteckt, waren dreihundertfünfundsechzig Opfertische – so viel wie das Jahr Tage hat – um einen Felsen herum verteilt. Im Inneren des Felsens befand sich eine Höhle, die »Höhle, die ihren
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