Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
Vom Netzwerk:
dem schönen Haus fühlte Shab sich verpflichtet, seinem Herrn diesen Eindruck mitzuteilen.
    »Dieser Mann gefällt mir ganz und gar nicht. Seid Ihr sicher, dass er Euch nicht belügt?«
    »Dieser reiche Händler stammt aus Byblos, der großen Hafenstadt im Libanon, und er ist ein geborener Lügner. Sein Tun besteht darin, die Kunden zu betrügen, indem er seine Widersacher schlecht macht, um aus jedem Handel das Meiste für sich herauszuschlagen. Aber mir – und nur mir – sagt er die Wahrheit. Einmal, aber wirklich nur ein einziges Mal, hat er versucht, mich zu hintergehen, woran ihn eine Narbe erinnert. Als sich die Fänge des Falken in seine Brust bohrten und ihm das Herz herausreißen wollten, hat er gerade noch rechtzeitig Reue gezeigt. Die Leute aus Byblos können uns sehr nützlich sein, mein guter Freund. Mit ihrer Hilfe werde ich viele Kämpfer nach Ägypten einschleusen, die für unsere Sache eintreten.«
    Shab der Krumme war wieder einmal sehr beeindruckt.
    Der Prophet arbeitete also mit verschiedenen Gruppen von Spitzeln und kannte sich in Memphis tatsächlich wie in der Tasche seines eigenen Wollumhangs aus!
    Trotz der großen Hitze war auf seiner Stirn kein Schweiß zu sehen. Und während Shab einen Krug mit kühlem Bier leerte, trank der Prophet keinen Schluck, murmelte aber Sprüche vor sich hin, die der Krumme nicht verstand.

 
42
     
     
     
    Iker hatte so viel Arbeit, dass er seine kleine Schreibstube im linken Flügel von Djehutis Palast nur selten verlassen konnte. Er bestand darauf, alles persönlich zu überprüfen, und begnügte sich nicht mit den Zusammenfassungen, die andere Schreiber verfasst hatten, um ihm die Arbeit zu erleichtern, sondern verglich sie immer wieder mit den Ursprungsschriften.
    Wofür er sich dann auch fast immer beglückwünschen konnte! Entweder waren Einzelheiten ausgelassen worden, Zahlen ungenau abgeschrieben oder bestimmte Anweisungen verstümmelt worden. Während der unermüdliche Sucher sooft es ging die Wahrheit wiederherstellte, kam er einer beunruhigenden Sache auf die Spur: Mehrere Beamte hatten die Tatsachen geändert, um Djehuti glauben zu machen, seine Provinz wäre die reichste und mächtigste von ganz Ägypten.
    Die Wirklichkeit sah jedoch nicht ganz so strahlend aus. In der Truppe gab es zu viele Söldner, bei der Ordnungsmacht der Wüste zu viele Alte, manche Ländereien wurden mangelhaft bewirtschaftet, mehrere Höfe schlecht geführt. Sollte es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommen, könnte es Djehuti an Waffen fehlen. Deshalb würde der Abschlussbericht, den Iker in den nächsten Tagen verfassen wollte, wohl eher wenig zuversichtlich ausfallen.
    »Das musst du dir unbedingt anschauen«, riet ihm einer der anderen Schreiber.
    »Ich habe aber keine Zeit.«
    »Dann nimm sie dir. So ein Schauspiel lässt man sich nicht entgehen.«
    Neugierig geworden, verließ Iker den Palast.
    Die Schreiber und Wachen, die Köche und Putzfrauen – alle liefen sie zum Nil hinunter.
    Auf einer grasbewachsenen kleinen Insel mitten im Fluss führte eine Gruppe von etwa fünfzig Kranichen aus Numidien mit aschgrauem Gefieder und zierlichen Beinen einen anmutigen Tanz vor. Im Takt drehten sie sich schnell im Kreis, taten so, als würden sie auffliegen, ruhten sich aber wieder aus, um dann mal alleine, mal mit einem Partner eine Art Ringeltanz zu geben. Genau wie alle anderen bewunderte Iker diese Vorstellung, die von den Zuschauern mit lautem Beifall bedacht wurde.
    »Das ist ein sehr gutes Vorzeichen«, meinte sein Nachbar, der mit Landvermessung beschäftigt war. »Es bedeutet, dass es Sesostris gelungen ist, eine gute Nilflut auszulösen. Du musst es ja nicht weitersagen, aber ich denke, es beweist, dass er ein großer Herrscher ist.«
    Als das Schauspiel vorbei war, ging Iker nachdenklich seinen Esel füttern, der zufrieden im Schatten eines Vordachs stand.
    »Die Lage wird allmählich ernst«, vertraute er Nordwind an. »Sollte die Bevölkerung für den Pharao eintreten, ist Djehutis Stellung unhaltbar. Und Sesostris ist so überaus erfolgreich, dass das keinem verborgen bleiben dürfte.«
    Den Esel schien diese Neuigkeit nicht zu beunruhigen, denn er fraß gelassen weiter.
    Auf dem Rückweg in seinen Arbeitsraum sah Iker das Gesicht der jungen Priesterin vor sich. Mehrmals am Tag und in all seinen Träumen erschien sie ihm immer nachdrücklicher.
    Anstatt sich zu verwischen, wurden ihre Gesichtszüge mit der Zeit immer deutlicher, so als stünde sie

Weitere Kostenlose Bücher