Der Beethoven-Fluch
Standpunkt, dass man den auch nach dem Konzert noch festnehmen kann. Dagegen ist schwer anzukommen, Miss Logan.”
“Wir
müssen
aber unbedingt verhindern, dass er spielt!”, unterstrich Meer. Wie hatte Malachai noch vor einiger Zeit gesagt?
Die vergangenen Leben, an die man sich zuerst erinnert, sind diejenigen, die unter den gewaltsamsten oder tragischsten Umständen endeten.
Falls der ganze Saal die Melodie hörte, konnte das unübersehbare Folgen haben. Sie versuchte, dies Fieske so kurz wie möglich zu erklären, aber er nickte bloß, offensichtlich wenig überzeugt.
“Man wird nur eingelassen, wenn man auf der offiziellen Namensliste steht und ein Ticket mit Hologramm und einer besonderen Nummer besitzt”, teilte er ihr mit.
“Ich müsste eigentlich draufstehen. Sebastian Otto hat mich eingeladen. Mein Vater und ich, wir sind Montagnachmittag extra hergekommen, um uns registrieren zu lassen. Sagen Sie denen das!”
Ehe Fieske auch nur den Mund aufmachen konnte, wandte sich einer der Sicherheitsleute schon direkt an Meer. “Miss Logan”, bemerkte er, “ich habe hier Ihren Namen und eine Kopie von Ihrem Reisepass. Ich brauche nur noch Ihre Eintrittskarte.”
Meer zog ihr Portemonnaie hervor und guckte hinein, aber das Ticket war nicht da. Hatte Sebastian es etwa herausgenommen, als sie im Hotel unter der Dusche gestanden hatte? Sie wollte schon eine Erklärung anbringen, wurde aber abgelenkt durch eine Szene auf dem rechts von der Schleuse angebrachten Überwachungsmonitor, auf dem das gesamte Orchester in Nahaufnahme zu sehen war. Sie erkannte Sebastian auf Anhieb. Er spielte mit jener Andacht und Hingabe, wie sie es noch von ihren eigenen Studienjahren her kannte – wie mit dem Instrument verwachsen, als gebe es keine Grenze zwischen ihm und seiner Oboe, keine Vergangenheit und keine Zukunft, kein Denken außer an die Noten. Sein Herz pochte nicht länger im eigenen Rhythmus, sondern im Takt der Sinfonie.
“Das hab ich ja ganz vergessen”, sagte sie zu Fieske. “Mein Vater hat die Tickets eingesteckt. Sie müssen noch in seiner Brieftasche sein. Haben Sie sie?”
“Nein.”
“Die Sanitäterin hat sie im Stollen an sich genommen. Hat sie Ihnen sie denn nicht gegeben?”
“Nein, aber ich werde mal sehen, was sich da machen lässt.”
Fieske eilte hinüber zu seinem Kollegen Krantz. Der hörte kurz zu, verließ das Gebäude und war nach knapp zwei Minuten zurück. Erst händigte er Meer die Armbanduhr ihres Vaters aus, die sie sofort anlegte, wobei sie das Edelstahlarmband kalt an ihrem Handgelenk spürte. Dann übergab er ihr eine braune Lederbrieftasche mit ausgefransten Kanten, aufgeplatzten Nähten und Fächern voller Kärtchen und Zettel.
Wieso
, durchzuckte es sie,
hat der denn so eine alte …
Und dann fiel ihr ein, dass es genau die Geldbörse war, die sie ihm mit zwölf Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte. Damals wohnte er noch zu Hause. Ihre Mutter hatte sie extra zum Einkaufen mit auf die Park Avenue genommen und geduldig gewartet, während Meer alle möglichen Modelle begutachtete, bis sie sich schließlich für dieses hier entschied. An jenem Abend hatte ihr Vater das Präsent beim Dinner ausgepackt, sich mit einem Kuss bedankt und seiner Tochter versprochen, die neue Brieftasche werde ihn nun bei all seinen Reisen um die Welt begleiten. Das Geschenk werde ihm das Gefühl geben, Meer sei immer bei ihm. Und tatsächlich, er hatte sie immer bei sich getragen. Bis heute.
Den Blick nochmals auf den Monitor gerichtet, konzentrierte Meer sich darauf, an welcher Stelle der Partitur sich das Orchester in etwa gerade befand. In acht, neun Minuten musste das Oboensolo kommen. Sie schlug Jeremys Brieftasche auf, durchsuchte Bons, Kreditkarten und allerlei Zettel und stieß zu ihrer Verblüffung auf ein Foto von einem kleinen Mädchen, das mit engelgleichem Lächeln an einem Flügel saß. Wie auch die Brieftasche, so waren die Fotoränder schon ausgefranst und abgenutzt. Sie stopfte das Bild in die Tasche ihrer Jeans und suchte weiter, bis sie endlich das kleine blütenweiße Kuvert mit dem Logo des Musikvereins oben rechts in der Ecke fand.
“Hier!” Sie hielt dem Sicherheitsmann das Ticket unter die Nase.
“Ihr Name?”
“Hab ich doch schon genannt! Bitte, wir haben es eilig!”
“Die Vorschriften …”
“Meer Logan!”, erwiderte sie gereizt.
Die Sinfonie in den Ohren, warf sie einen Blick auf die Armbanduhr ihres Vaters, sah den Sekundenzeiger vorrücken. Höchstens
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