Der Beethoven-Fluch
ihm die Arme auf den Rücken gebogen. “Ich hab ihn!”, rief er auf Englisch zwei österreichischen Polizisten zu, die sich in diesem Moment ebenfalls durchs Gewühl quetschten. “Aber Samuels hier ist verletzt”, fügte er hinzu. “Brecht hat ihn niedergeschossen!”
“Der Notarzt ist unterwegs, Lucian!”, rief einer der Wiener Polizisten.
“Was?”, fragte Meer ungläubig, an den ältesten Freund ihres Vaters gewandt. “
Sie
haben auf Malachai geschossen?”
Obwohl inzwischen in Handschellen, hielt Brecht sich aufrecht und stolz, als wäre nichts geschehen. Die Polizisten nahm er bewusst nicht zur Kenntnis, genauso wenig wie Meers Frage.
Meer ließ aber nicht locker. “Stecken Sie etwa auch hinter dem Raub des Briefes? Und dem Diebstahl der Spieleschatulle?”
Brecht schwieg, was einem Geständnis gleichkam.
“
Sie
waren das also? Aber wieso? Mein Vater war doch Ihr Freund! Das dachte er zumindest …”
“Meine Verantwortung wiegt schwerer als Freundschaft”, gab Brecht selbstbewusst zurück. “Ich musste unser Erbe hüten und verhindern, dass es in aller Öffentlichkeit lächerlich gemacht wird.”
“Ohne Rücksicht auf Verluste? Das nennen Sie
Verantwortung
?”
“Ihr Vater wollte es auch nicht begreifen. Wir Juden, wir können uns im 21. Jahrhundert keine negative Publicity leisten!” Sein Selbstbewusstsein verwandelte sich in Wut. “Da haben wir gerade erst unser Stigma als Außenseiter der Gesellschaft abgeschüttelt! Wenn sich nun aber herausstellt, dass wir über ein Werkzeug verfügen, mit dem wir die Existenz der Wiedergeburt beweisen können, dann stellt man uns doch im Nu wieder in die Ecke der übergeschnappten Spinner und religiösen Fanatiker!”, schrie er mit überschnappender Stimme. “Wir dürfen uns nicht wieder wie Ausgestoßene in Gettos sperren lass…”
Inspektor Fieske fiel ihm ins Wort und sagte etwas auf Deutsch, das Meer nicht verstand. Zähneknirschend wandte der ehemalige Minister den Blick ab und sah hoch zu einem imaginären Punkt am nächtlichen Himmel. Dann wurde er abgeführt.
Etwas weiter hockte Malachai Samuels zusammengesackt an der Gebäudewand und hielt sich mit geschlossenen Augen die Rippen. Der Amerikaner kniete neben ihm und fühlte ihm den Puls.
Meer trat hinzu. “Malachai?”, rief sie. “Können Sie mich hören?”
Er schlug die Augen auf und erkannte den Amerikaner. “Was … was … machen
Sie
denn hier?” Er litt zwar Schmerzen, war aber bei Verstand.
“Ich stehe eben auf Beethoven”, flachste der Angesprochene, wobei er doch tatsächlich grinste.
“Und deshalb … fliegen Sie … von New York … hierher? Extra für das Konzert?”
“Es ging eben nicht anders. In der Carnegie Hall haben sie die
Eroica
nicht gegeben.”
“Sie sind doch der, der mir dauernd nachspioniert … auf der Straße … im Auto … Mir können Sie nichts vormachen. Sie haben dafür gesorgt, dass ich meinen Reisepass wiederkriege, habe ich recht? Weil Sie hofften, ich reise hierher. Wegen der Flöte. Stimmt’s?”
Der Amerikaner hüllte sich in Schweigen. Die Rettungssanitäter kamen herbei, also trat er zurück, damit sie ihre Arbeit tun konnten. Meer aber gab sich damit nicht zufrieden. “Haben Sie ihn tatsächlich observiert? Warum? Er hat doch nichts anderes getan, als mir zu helfen!”
“Nach außen hin sieht es so aus. Diesmal jedenfalls.”
“Wird er jetzt etwa verhaftet?”
“Ach was – er wird verarztet! Im Krankenhaus! Und wie sieht’s mit Ihnen aus? Haben Sie etwas abgekriegt?”
“Nein, nein. Sagen Sie – wer sind Sie eigentlich?”
“Special Agent Lucian Glass, FBI”, lautete die Antwort. “Das mit Ihrem Vater tut mir sehr leid. Ich würde Ihnen gern helfen, Miss Logan.”
“Wie?”
“Nun, ich nehme an, Sie möchten die Flöte gern an einen sicheren Ort schaffen. So, wie Sie die festhalten!”
“Ja. Irgendwohin, wo sie sicher ist.”
Die Sanitäter hatten Malachai inzwischen auf eine Krankentrage gebettet und rollten ihn zu einem wartenden Einsatzfahrzeug. Meer ging neben ihm her, versicherte ihm, dass wieder alles gut werden würde. Lucian folgte ihnen. Am Rettungswagen angekommen, bewegte sich einer der Sanitäter von dem Verletzten weg, um die Tür zu öffnen. Malachai nutzte die Gelegenheit und griff mit schmerzverzerrtem Gesicht nach Meers Hand – nach der, mit der sie die Handtasche mit der Flöte darin festhielt. “Sie ist echt, Meer! Ich habe gesehen, dass sie funktioniert!”
“Aber sie hat ganz
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