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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.J. Rose
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werden, weil das den Eindruck von totalem Chaos nur verstärken würde. Wenn die merken, dass wir ihn erkannt haben, werden wir womöglich festgenommen. Lassen Sie uns umkehren, Richtung Haupteingänge. Geben Sie mir schon mal die Flöte; wenn man mich anhält, führe ich denen einen Kartentrick vor; das lenkt sie ab!”
    Meer krallte die Finger um die Knochenflöte.
    “Los, geben Sie sie mir!”, wiederholte Malachai.
    “Nein. Ich kann nicht. Ich darf sie nicht in fremde Hände geben.”
    “Meer!”
    “Nein!”

103. KAPITEL
    D onnerstag, 1. Mai – 20:39 Uhr
    Die Straße lag im Schein der altertümlichen Laternen, und somit bemerkte Lucian ohne Mühe, wie Meer in Begleitung von Malachai Samuels das Konzertgebäude durch den Haupteingang verließ. Extra zum Konzert angerückte Sensationsfotografen rangelten um die besten Positionen, damit sie die herausströmenden Besucher und deren entsetzte Mienen auch gut vor die Linse bekamen. Ein unaufhörliches Blitzlichtgewitter ließ den ganzen Vorplatz immer wieder taghell aufleuchten.
    Noch immer stand Lucian unter dem Eindruck der Geschehnisse im Saal, wo die Musik in menschliche Entsetzensschreie übergegangen war. Er selber hatte auf einmal den Eindruck gehabt, als lösten sich Luft und Raum und Zeit einfach auf. Dass er dabei in Atemnot geriet, störte ihn nicht, denn Atmen wurde auf einmal überflüssig. Wie flüchtiger Rauch dahinschwebend, nahm er gar nicht mehr wahr, was sich vor seinen Augen abspielte, sondern wurde auf eine zeitlose, unbewusste Weise in eine andere Epoche, an einen anderen Ort versetzt.
    Eben hatte er noch verfolgt, wie Meer sich zur Bühne durchkämpfte, da verwandelte sie sich in eine andere Frau – mit längerem, dunklerem Haar, angetan mit einem zerrissenen, zerfetzten blauen Gewand … eine Flöte in der Hand … in Tränen aufgelöst … Nein … es war keine Flöte. Noch nicht. Es war bloß ein kleiner Knochen, an einem Ende abgebrochen, und diesen Knochen reichte sie ihm mit dem Hinweis, sie habe ihn vom Begräbnisplatz gestohlen. Dabei schluchzte sie immerfort weiter; ihr verschmutztes Gesicht war von Tränenspuren durchzogen.
    Lucian kannte die Frau zwar nicht, hatte sie auch nie im Leben gesehen, doch ihm war, als müsse sie ihm irgendwie und irgendwoher vertraut sein. Das mochte sich unsinnig anhören, aber so war es nun mal. Die Vision jedenfalls zog ihn unwiderstehlich in ihren Bann, körperlich wie seelisch.
    Wie durch einen unermesslichen und unmessbaren Raum hindurch sah er einen Mann, teilweise er selber und gleichzeitig ein Teil seiner selbst, der der Frau den Knochen aus der Hand nahm. In schnell wechselnden Bildern, die unterschiedliche Szenen ein- und derselben Geschichte zeigten, bohrte der Mann dann sieben Löcher in diese Röhre und verwandelte sie damit in eine Flöte. Die Frau schlief derweilen neben der Feuerstelle in einer Werkstatt, die er sich mit seinem Bruder teilte. Dieser Bruder hieß Devadas.
    Mit dem abrupten Ende des Konzerts wurde Lucian mit Macht in die Gegenwart zurückgesogen. Vor ihm erschien nicht länger Ohana, nicht mehr die Frau in dem Gewand, sondern wieder Meer Logan, die Frau in Jeans und Lederjacke, Meer, mit dem kastanienbraunen Haar und den unfassbar grünen Augen.
    Während er ihr mit Blicken durch die hysterische Menschenmenge folgte, schwebte Ohana weiterhin geisterhaft neben ihr her. Ging das überhaupt, dass man in zwei Wesenheiten existieren konnte? War das möglich, dass er einerseits Lucian war, der FBI-Agent mit einem ihm völlig entgleitenden Fall, und andererseits in einer ganz anderen Zeit lebte, dachte und fühlte?
    Es sah so aus, als halte Meer einen Gegenstand an die Brust gepresst, und wenngleich Lucian zu weit weg war, um diesen Gegenstand genau zu erkennen, zweifelte er doch nicht, dass es sich um die Flöte der untergegangenen Erinnerungen handelte. Er hatte nämlich verfolgt, wie sie diese dem Oboisten aus der Hand gerissen hatte. Doch als dann die Besucher in heller Panik aus dem Konzertsaal quollen wie Blut aus einer klaffenden Wunde, da hatte er Meer aus den Augen verloren. Um ihn herum mischten sich Schmerzensschreie mit dem Sirenengeheul der eintreffenden Rettungs- und Polizeifahrzeuge.
    Als er dann Meer und Samuels wieder entdeckte, da fiel ihm gleichzeitig ein älterer, weißhaariger Herr auf, der sich mit katzenhafter Gewandtheit durchs Gewühl auf die beiden zuschlängelte: Fremont Brecht, der Präsident der Gesellschaft für Erinnerungsforschung. Er wirkte

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