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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.j. Rose
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Flagge wehte. Forschend starrte sie das Bauwerk an, als könne der frische Fassadenanstrich jeden Moment an einigen Stellen wegbröckeln und die Geschichte zum Vorschein kommen. Besonders angezogen wurde sie von einer Flucht Sprossenfenster im vierten Stock.
    “So ist mir Wien am liebsten”, bemerkte Sebastian, während sie weiter die Treppe hinaufstiegen. “Gassen und Straßen, die zweihundert Jahre unverändert geblieben sind. Hier sieht es fast noch exakt so aus wie zu Beethovens Zeiten.”
    Eine Taube landete auf dem Dachfirst. Weitere kamen dazu, bis schließlich eine ganze Taubenschar gurrend den Weg der beiden verfolgte.
    “In seinem Tagebuch”, dozierte Sebastian weiter, “schrieb Beethoven, dass er jeden Nachmittag einen ausgedehnten Spaziergang unternahm, weil er beim Gehen besser denken konnte. Ich kann ihn mir richtig vorstellen, wie er schwungvoll aus dem Haus kommt und mit fliegenden Rockschößen diese Treppe hinunterstürmt. Er war damals schon eine Berühmtheit; vermutlich wurde er von den Passanten erkannt. Die steckten dann die Köpfe zusammen, zeigten mit dem Finger und tuschelten: ‘Das ist Beethoven, der Komponist!’”
    Die Inschrift auf der vorn am Haus angebrachten Tafel war zwar auf Deutsch, aber der Name sowie die angezeigten Wohndaten waren für Meer mühelos zu verstehen.
    “Den größeren Wirbel gibt es ja eigentlich um Mozart”, erklärte Sebastian weiter. “Die Wiener haben ihn zum Helden ihrer Stadt ernannt. Es gibt sogar Pralinen mit seinem Bild darauf. Er war ja auch … wie sagt man … ein echter Landsmann, geboren in Salzburg, gestorben in Wien. Aber ich ziehe Beethoven vor, genau wie Sie.”
    Hatte sie ihm das tatsächlich gesagt? Oder schloss er es schlicht aus der Tatsache, dass sie das Beethovenhaus sehen wollte?
    “Wieso?”, forschte sie.
    “Er hätte im Grunde die Hoffnung und seine Musik fahren lassen können, doch er gab nicht auf. Er musste sich mit dem Schlimmsten abfinden, das einem Komponisten widerfahren kann. Es stärkte ihn nur in seiner Schaffenskraft. Er ging weiter als jeder andere vor ihm, beeinflusste alle, die nach ihm kamen. Seine Werke sind wie Abbildungen der Seele.”
    “Abbildungen der Seele …”, murmelte Meer. Das musste sie sich merken.
    Sebastian hielt ihr die Tür auf, und Meer trat ein. Das Vestibül war klein und dunkel; es gab keinen anderen Weg als nach oben. Also nahm sie die Treppe in Angriff. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig … Als sie merkte, dass sie die Stufen zählte, stockte sie einen Moment, doch beim Weitergehen fiel ihr bald auf, dass sie trotzdem weiterzählte. Vierundfünfzig, fünfundfünfzig, sechsundfünfzig. Auf dem sechsten Treppenabsatz angelangt, blieb sie stehen.
    “Woher wissen Sie, dass dies die richtige Etage ist?”, fragte Sebastian, der hinter ihr stand.
    “Hatten Sie mir nicht gesagt, dass die Wohnung im vierten Stock liegt?”
    “Ich?”
    Der linker Hand befindliche Eingang war wie alle anderen weiß lackiert, aber direkt daneben prangte eine Plakette, auf der Beethovens Name nebst einigen Daten eingraviert war. Sebastian zog an der Tür und hielt sie für Meer offen. An der Schwelle kurz innehaltend, trat sie sich sorgfältig die Schuhe ab und ging hinein.
    Sebastian kam ihr nicht nach, sondern verharrte mit verwunderter Miene eingangs des Flurs. Meer folgte seinem Blick. Er starrte hinunter auf die Stelle, an der sie sich die Sohlen auf der Fußmatte gesäubert hatte.
    Nur war gar keine Matte da.
    Irgendetwas stimmte nicht mit der Luft in Beethovens Wohnung; es roch nach künstlichem Tannennadelaroma anstatt nach Wachs und Wein sowie dem Duft von frisch gebackenem Brot, der sonst aus der Nachbarwohnung drang. Selbst die Wände trugen die falsche Farbe – sie hätten gelber sein müssen, nicht so steril und strahlend weiß.
    Von Zimmer zu Zimmer schlendernd, begutachtete Meer die Vitrinen, die Gegenstände aus Beethovens Besitz beherbergten. Sie studierte die Porträts von seinen Zeitgenossen und von Wiener Straßenszenen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, bestaunte handgeschriebene Notenblätter, Programme für Aufführungen, ja selbst den Rasierpinsel des Komponisten sowie sein Hörrohr. Als sie an die Vitrine kam, in der ein zu Lebzeiten angefertigter Gipsabdruck von Beethovens Gesicht lag, da sah sie ihn regelrecht vor sich – nicht eben schön, aber gebieterisch und energisch mit ausladenden Wangen, kräftigem Kinn und breiter Stirn. Sie starrte die Maske so lange an,

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