Der Beethoven-Fluch
Konferenz der International Security and Technology Association. Im Publikum sitzen Würdenträger und Regierungsvertreter aus der ganzen Welt.”
Meer nahm den Umschlag an sich und steckte ihn in ihre Handtasche.
“Sie müssten allerdings schon sehr zeitig zum Konzertsaal kommen”, erklärte Sebastian. “Um ihren Pass einscannen zu lassen. Erst dadurch werden die Eintrittskarten aktiviert. Die Sicherheitsmaßnahmen übertreffen alles bisher Dagewesene.”
“Was wird denn gegeben?”
“Die Eroica .”
“Dann haben Sie ja ein Oboen-Solo im Schlusssatz?”
Er nickte.
“Mein Vater wird begeistert sein. Er mag die Sinfonie sehr.”
“Weiß er denn eigentlich, dass Sie hier sind?”
Sie wollte schon sagen, sie wolle sich die Schatulle lieber ohne das Gedränge ringsum angucken, verkniff es sich aber. Zum einen, weil sie dachte, er werde das nicht verstehen. Andererseits allerdings auch aus Furcht. Vielleicht begriff er nur zu gut, was sie noch mehr aus dem Gleichgewicht gebracht hätte.
Da hörte sie plötzlich, wie jemand ihren Namen rief.
“Meer, Mäuschen, entschuldige!” Ihr Vater nahm sie in die Arme. Sie spürte das vertraute Gefühl des Kaschmirjacketts an der Wange, roch das unvermeidliche typische Aftershave. Seine Umarmung dauerte einen Tick länger als sonst, sodass Meer sich nicht sicher war, ob er Trost spenden wollte oder selbst Zuspruch suchte.
Dann wandte ihr Vater sich an Sebastian und schüttelte ihm die Hand. “Es war mir eine große Beruhigung, dass Sie sich so gut um meine Tochter gekümmert haben. Vielen Dank!”
“Das habe ich gern getan. Mein Beileid übrigens zum Tode Ihrer Haushälterin und Ihres Freundes.”
“Beide sinnlos gestorben.” Jeremy Logan schüttelte bekümmert den Kopf. “Ruth wird heute Nachmittag beigesetzt. Karl wird eingeäschert.” Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und furchte die Stirn. “Nein, wurde schon. Beide tot, und wozu?” Einige Sekunden verharrte er stumm in dem ringsum herrschenden Stimmengewirr – wie zum stillen Gebet, so kam es Meer vor. Wie seinerzeit ihre Mutter, so war sie jedes Mal erstaunt über seine tiefe Spiritualität. Die passte nämlich überhaupt nicht zu diesem verwegenen Abenteurer, der zu den fernsten Winkeln der Welt aufbrach, der zu Zeiten des Kalten Krieges hinter dem damaligen Eisernen Vorhang nach Schätzen buddelte und dabei sogar unter Beschuss geraten war. Heute hingegen wirkte er wie ein ganz gewöhnlicher Mensch, beinahe sogar angeschlagen. Wie einer, der Zuflucht im Glauben sucht.
“Ich würde gern mitgehen zur Beerdigung”, bot Meer an.
Ihr Vater lächelte traurig. “Danke, mein Schatz, aber das ist nicht nötig …”
“Ich habe heute Nachmittag Probe”, warf Sebastian ein. “Sonst würde ich …”
Jeremy fiel ihm ins Wort. “Lassen Sie nur, Sebastian. Sie haben genug getan.” Er straffte die Schultern, als wolle er die Melancholie abschütteln, und plötzlich stand da wieder jener vitale Mann aus Meers Erinnerungen. “Also”, sagte er, den Blick auf seine Tochter gerichtet. “Bist du bereit, dir deine Schatulle anzuschauen?”
Während Jeremy die beiden durchs Gedränge schleuste, erklärte er, dass es sich ursprünglich um eine kleinere Auktion hätte handeln sollen. Durch den Beethoven-Fund und den damit verbundenen Raub war nun ein Medienzirkus daraus geworden.
“Ich habe die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen lassen und verlege die Versteigerung am Mittwoch in größere Räumlichkeiten. Auch diese Besichtigung hätten wir besser in einen anderen Saal gepackt.” Mittlerweile näherten sie sich einer vor der Vitrine versammelten Gruppe. Jeremy trat beiseite, sodass Meer und Sebastian direkt an das Ausstellungsstück konnten.
Die in der Vitrine ausgestellte Kassette war offen, sodass man die mit Samt ausgeschlagenen Fächer mit den unterschiedlichen Spielsteinen und -karten sehen konnte. Ein Spiegel erlaubte es dem Betrachter, auch den aufwendig gestalteten Deckel zu begutachten. Meer fixierte sich auf das, was sie in diesem Abbild sah: ein silbernes Oval mit meisterhaft ziselierten Schnörkeln, Blumen, Vögeln und dem Buchstaben B.
Ja, all das hatte sie bereits in Malachais Sprechzimmer gesehen – auf dem Katalogfoto. Das aber war eine Abbildung gewesen, nicht die dreidimensionale Verkörperung ihrer Fantasievorstellung. Den Blick unverwandt auf das Kästchen geheftet, hoffte sie, die echte Schatulle werde ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen und ihr verraten, wann
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