Der Bernstein-Mensch
ihm. Seit der Nacht vor seiner ersten Reise zu dem Schiff hatte er keine Nachrichten mehr gehört. Ob man schon die ganze Geschichte veröffentlicht hatte? Er sah eigentlich keinen Grund, weshalb man sie zurückhalten sollte, aber das wollte nichts heißen. Diese Leute entblößten sich niemals freiwillig in der Öffentlichkeit. Trotzdem wäre es interessant, das zu erfahren. Er würde Sims fragen. Sims würde es wissen.
Die Tür öffnete sich, und Reynolds trat ein. Sims war ein großer Mann, der sein schwarzes Haar ganz kurz geschnitten trug. Diese Frisur war seit dreißig oder vierzig Jahren aus der Mode; Reynolds bezweifelte, daß es im ganzen Universum noch einen Mann mit einem solchen Haarschnitt gab. Aber Sims konnte er sich nicht anders vorstellen.
„Stimmt irgend etwas nicht?“ fragte Sims, und damit hatte er gleich ins Schwarze getroffen. Er führte Reynolds zu einem Sessel und ließ ihn Platz nehmen. Das Büro war groß, aber kahl. Auf dem Schreibtisch stand ein Ortstelefon, daneben lagen ein paar Tagesberichte. Sims war Assistent der Verwaltungsleitung, was immer das sein mochte. Reynolds war die Funktion dieser Position nie klargewesen – falls sie überhaupt eine hatte. Aber eines war klar: Sims wußte mehr über die internen Vorgänge auf der Mondbasis als irgend jemand sonst. Einschließlich des Direktors.
„Es geht um Vonda“, sagte Reynolds. Sims nannte jeden beim Vornamen. Vonda war Vonda Kelly. Der Name hatte einen seltsamen Geschmack für Reynolds. „Warum ißt sie nicht in der Cafeteria?“
Sims antwortete, ohne zu zögern. „Weil sie Angst hat, ihren Schreibtisch zu verlassen.“
„Es hat etwas mit den Aliens zu tun, nicht wahr?“
„Allerdings, aber ich dürfte dir eigentlich nicht sagen, was. Sie will nicht, daß du es weißt.“
„Sag’s mir. Bitte.“ Seine Verzweiflung ließ das Lächeln von Sims’ Lippen verschwinden. Und beinahe hätte er noch hinzugefügt: um der alten Zeiten willen. Er war froh, daß er sich beherrscht hatte.
„Der Hauptgrund ist der Krieg“, sagte Sims. „Wenn er anfängt, will sie es gleich wissen.“
„Wird er anfangen?“
Sims schüttelte den Kopf. „Ich bin vielleicht schlau, aber ich bin nicht der liebe Gott. Ich nehme an, alles wird wie gewöhnlich funktionieren, wenn nicht jemand einen dummen Fehler begeht. Schlimmstenfalls gibt es einen kleinen, regionalen Krieg, der vielleicht einen Monat dauert. Aber wie weit kann man sich darauf verlassen, daß Politiker sich intelligent benehmen? Das geht gegen ihre Natur.“
„Aber was ist mit den Aliens?“
„Nun, wie gesagt, das gehört mit dazu.“ Sims steckte seine Pfeife in den Mund. Reynolds hatte sie noch nie brennend gesehen, hatte noch nie gesehen, daß er sie rauchte, aber immer hing die Pfeife dort zwischen seinen Zähnen. „Morgen kommt eine Gruppe von Leuten aus Washington her. Sie wollen sich mit deinen Schoßhündchen unterhalten. Es scheint, daß niemand – und Vonda am allerwenigsten – mit deinen Fortschritten besonders glücklich ist.“
„Ich schon.“
Sims zuckte die Achseln, als wollte er sagen: Das ist ziemlich egal.
„Die Aliens werden sie niemals empfangen“, murmelte Reynolds.
„Was wollen sie denn machen? Die Fußmatte reinholen? Das Licht ausknipsen? Das wird nicht klappen.“
„Aber das wird alles verderben. Meine ganze bisherige Arbeit.“
„ Welche Arbeit?“ Sims stand auf, kam um den Tisch herum und blieb hoch aufragend vor Reynolds stehen. „Kein Mensch kann sehen, daß du irgend etwas erreicht hast, seit du dich dort oben herumtreibst. Die Leute wollen Resultate, Bradley, und nicht einen Haufen heiße Luft. Und bis jetzt hat man von dir nur die Luft gekriegt. Das ist nicht dein Privatvergnügen. Dies ist eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte der menschlichen Rasse. Wenn das jemand wissen sollte, dann du. Herrgott noch mal.“ Und er wanderte wieder zu seinem Stuhl zurück. Seine Pfeife wippte auf und nieder.
„Was wollen sie von mir?“ fragte Reynolds. „Sieh mal – sie haben bekommen, was sie wollten. Die Aliens haben zugestimmt, daß ein Team von Wissenschaftlern ihr Schiff studiert.“
„Wir wollen jetzt aber mehr als das. Unter anderem wollen wir, daß ein Alien herunterkommt und Washington besucht. Denk doch nur an den Propagandawert! Und im Augenblick haben wir so etwas verdammt nötig. Hier sind wir, das einzige Land mit genug Verstand, um auf dem Mond zu bleiben. Und unsere Anwesenheit hier hat sich endlich in
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