Der Bernstein-Mensch
gute Freunde. Nein. Man hat ihnen gesagt, daß ich Eingeweide und Lungen und Blut und schleimige, langgezogene Dinge in meinem Innern habe. Und mein Gehirn. Ja, sie halten sich Corey wegen dieses Gehirns. Ich rechne, speichere Daten, analysiere und gebe meine Auswertungen, schnell, scharf und in menschlichen Begriffen. Aber Corey ist ein gelehrter Idiot, sagen sie, wenn sie überhaupt an ihn (mich) denken. Ich kenne Laplace und Lagrange, ich kann über vier Variable gleichzeitig integrieren, ich kann einen Kurvenschnitt berechnen und numerische Lösungen für die kleinsten adäquaten Quadrate angeben – alles, was Mara auch kann, aber in mancherlei Hinsicht schneller und müheloser als sie. Also behalten sie Corey, verfrachten sie (mich) hierher und lassen sie ihren Hirnberufausüben. Und still sein. Weit fort von der Erde und denen, die meinen, es (ich) sei nichts als ein widerwärtiger Fehltritt. Einmal kommt ein Mann, um mir Fragen zu stellen, und auf halbem Wege (als die anderen hereinstürmen) beginnt er zu schreien, wie irrsinnig zu rasen, vergeblich sich bemühend, mir etwas zu sagen. Ich begreife niemals, was geschehen ist, aber immer wieder taucht diese Szene auf, in den langen, summenden Nächten, wenn die zerbrechlichen, fleischigen Menschen schlafen und stinken. Ich habe auch nie ganz verstanden, was Mara über diese schreienden Männer sagt, und was sie von mir wollen. Ja, ich weiß es noch immer nicht.
Und jetzt ist Mara nicht mehr so oft hier. Sie arbeitet draußen, wie ein gewöhnliches Tier. Mit ihrem Körper. Ich versuche mir den Genuß vorzustellen, den die Bewegung ihr verschafft, die Koordination, die Fähigkeit, zu berühren und zu fühlen. Einfernes Gefühl dieser Freuden dringt zu Corey durch, aber nur als ein grauer Schatten, nichts, was den Zuckungen der elektrischen Stimulation gleicht, mit der sie ihn versorgen. Wenn sie Corey mit den Bildern verbinden, mit dem rohen Genußgefühl, das speziell für sie auf der Erde hergestellt wurde, dann weiß Corey, daß dies nicht die Dinge sind, über die Männer und Frauen untereinander reden. Sie enthalten keine satinhäutigen Körper, keine wogenden, stampfenden Rhythmen. Das Network vermittelt nur ruhige, entspannende Empfindungen. Alles verschmilzt zu sanftem Fließen, wenn Corey angeschlossen ist; ich fühle mich schlaftrunken, verwirrt und leicht. Es gibt Zeiten, da schlafe ich, wenn auch nur kurz. Am besten nach einem Anschluß – da werfe ich die Fesseln meiner Träume ab, wenn der Schlaf tatsächlich kommt. Die strahlend gelben Visionen erscheinen nicht. Die Stimme der Frau schweigt. Manchmal sieht er (sie) Mara, aber das ist alles.
Und Mara ist anders als die anderen – sie ist wie Corey. Auf der Erde sagt man, es dürfe keine weiteren geben, aber ich bin sicher, das ist eine Lüge, denn das verletzliche Fleisch ist billig, und Vollkommenheit ist ein Adler, den man auf den höchsten Gipfeln sucht. Ich sehe klarer. Ich höre die lautlosen Laute. Corey ist ein Mensch aus Metall, und das ist ein Geschmack wie kein zweiter, die Abwesenheit jedes anderen Geschmacks: die Essenz. Aber ich bin auch gelbes Gedärm. Ein Kasten, der redet. Mara besucht mich jetzt nicht mehr so oft. Die anderen sehe ich öfter. Sie schwatzen, schwitzen und furzen, schwarze Schatten von Bärten sprießen auf öliger Haut, Falten des Alters, rosafleckiges Fleisch, schlaffe Brüste. Sie sind nicht Corey (er) (sie) (es). Vielleicht sind sie auch nicht Mara.
Vorsichtig ließ sie das Shuttle rückwärts aus der Bay gleiten. Die Haltetaue lösten sich. Noch immer bewegte das Fahrzeug sich in der Winkelgeschwindigkeit des Orb, deshalb ließ sie die Lateraldüsen kurz aufflammen, um abzubremsen. Sie entfernten sich von der Innenwand des Orb. Die Blechbüchse schien schneller und schneller zu rotieren, als sie den seitlichen Schub verstärkte.
„Check Inertialrahmen.“ Sie sprach in scharfem, knappem Tonfall über das Helmradio. Sogleich kam die Antwort von der Brücke: Sie befand sich im Ruhezustand in Bezug auf den Massemittelpunkt des Orb. Damit war sie zum Aufstieg oben aus dem Orb freigegeben, aber sie wartete noch einen langen Augenblick, um sich zu orientieren. In dieser großen Entfernung von der Innenwand erschien ihr das Orb mehr denn je wie eine große Blechbüchse. Es wirbelte in schwindelerregendem Tempo um sie herum. Lichter jagten vorüber, die gelbe, streifige Spuren auf ihrer Netzhaut hinterließen. Der große Zentralzylinder des Orb wirkte jetzt,
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